: Der Literat als Bannerträger der Bankenbosse
■ In Peru verschärft sich nach der Einleitung der Banken–Verstaatlichung die innenpolitische Auseinandersetzung / Den Protest von rechter Mittelschicht und Finanzoligarchie transportiert der Schriftsteller Vargas Llosa in flammenden Aufrufen / Präsident Garcia nutzt das Wirtschaftsthema zu einer populistischen Offensive
Aus Lima Dietmar Dirmoser
Am Nobelpreis für Literatur ist Mario Vargas Llosa nach Ansicht seiner Freunde nur knapp vorbeigeschlittert und auch Premierminister ist er nur beinahe geworden - 1984, unter dem Mitte–Rechts– Präsidenten Belaunde. Seit einigen Wochen zieht der Erfolgsautor nun aber als unangefochtener Wortführer der peruanischen Rechten gegen die Pläne der sozialdemokratischen Apra–Regirung zur Verstaatlichung der Banken zu Felde. Auf der großen Massenveranstaltung der peruanischen Rechten seit dem Wahlkampf von 1985, am Freitagabend in Lima, beschwor Vargas Llosa das Ende der Freiheit und Demokratie für den Fall, daß auch die zweite Kammer des Parlaments dem Verstaatlichungsgesetz zustimme. „Dies wäre der Beginn eines totalitären Regimes“, rief er den 20.000 auf der kochenden Plaza San Martin zu, die ihn mit Mario–Mario– Sprechchören und minutenlangen „Li–ber–tad“–Rufen feierten. „Mit einem Schneeball fängt es an“, warnte Vargas Llosa, „mit einem Schneeball, der sich zur Lawine auswächst, von der dann die Demokratie zerschmettert wird.“ Schon im Verlauf der Woche hatte er in zahlreichen Interviews vor „kubanischen“ oder gar „nicaraguanischen“ Verhältnissen gewarnt. Der Auftritt von Vargas Llosa bildet den vorläufigen Höhepunkt eines erbitterten Propagandakrieges. Nachdem Präsident Alan Garcia am 28. Juli die Verstaatlichung von zehn Banken, 17 Versicherungen und sechs Finanzierungsgesellschaften angekündigt hatte, setzten die Unternehmergremien eine Pressekampagne in Gang, die an Intensität jeden Wahlkampf übertrifft. Erklärungen, Interviews und ganzseitige Anzeigen gegen das Verstaatli chungsprojekt, bei dem der Staat auch Aktienpakete von 300 Firmen verschiedenen Biersorten und Seifenmarken - deshalb: Nein zur Verstaatlichung der Banken.“ Ein eilig komponiertes Freiheitslied ist der Song der Stunde, und die jeunesse doree von Miraflores, dem Nobelviertel von Lima, schmückt sich mit Stirnbändern, die nach dem Entwurf eines bekannten Malers den Aufdruck „Libertad“ tragen. Der erste Höhepunkt der Kampagne der Rechten war eine Großveranstaltung der Volkschristlichen Partei (PPC) am 14. August mit Luis Bedoya, dem neoliberalen Ex–Bürgermeister von Lima, als Hauptredner. Danach reihte sich die PPC ebenso wie die Volksaktion (AP) des Ex–Präsidenten Belaunde in die Kampagne von Vargas Llosa ein, der nicht müde wird, die Parteiunabhängigkeit seines „Movimento Libertad“ (Bewegung für die Freiheit) zu betonen. Bankensprecher dementierten, daß die Werbekampagne für die Vargas–Llosa–Veranstaltung von den bedrohten Banken finanziert worden sei. Doch alle von Journalisten befragten Unternehmervertreter lobten die Initiative des Schriftstellers und kündigten an, als Privatpersonen an seinem meeting teilzunehmen. Gewerkschafter erklärten gegenüber der taz, die Angestellten einiger Firmen seien mit Bussen von der Arbeitsstelle zu der Veranstaltung transportiert worden, durchaus nicht alle freiwillig. Doch solche Schachzüge erkären nicht den Erfolg der Rechten. Präsident Garcia hat seinen Rückhalt bei der Mittelschicht ver spielt, die um ihre Sparguthaben fürchtet und dem Präsidenten übelnimmt, den bislang legalen Parallelmarkt für Dollars ausgetrocknet zu haben. Es ist schwierig geworden, anders als zum offiziellen Kurs für einen Dollar 16 Intis zu tauschen. Vor wenigen Wochen lag der Parallelkurs noch bei knapp 50 Intis pro Dollar. Gerade die Mittelschicht versuchte sich bislang vor der Inflation durch kleinere Dollartransaktionen zu schützen. Gefährlicher für die Regierung ist, daß das bislang gute Verhältnis zu den Unternehmern seit der Bekanntgabe des Verstaatlichungsprojekts irreparabel gestört ist. Die Wirtschaftsvertreter in Regierung, Verwaltung und Gremien treten reihenweise zurück - unter ihnen auch der parteilose In dustrieminister Romero, dessen Ablösung nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens bekanntgegeben wird. Vargas Llosa hat für den Fall der endgültigen Verabschiedung des Verstaatlichungsgesetzes bereits „zivilen Widerstand“ angekündigt und der Industriellenverband SNI warnte in einer Anzeige, er übernehme keinerlei Verantwortung für eventuelle Warenverknappungen. Dies alles, obwohl sich die Regierung bislang ausgesprochen unternehmerfreundlich gezeigt hat und dies auch in Zukunft sein will. Der Fachinformationsdienst Peru–Report hat für die nächsten Wochen die Verabschiedung einer Palette von Anreizen für die Privatwirtschaft angekündigt, darunter Subventionen für die ver arbeitende Industrie und das Agrobusiness. Durch diese Maßnahmen würde das bereits seit 1985 existierende großzügige Angebot an billigen Krediten und Anreizen um weitere Förderungsmaßnahmen erweitert. Gedacht sind diese Stimuli allerdings ausschließlich für die „produktiven“ Unternehmer und erklärtermaßen nicht für das spekulierende Finanzkapital. Ausschlaggebend für die Bankenverstaatlichung war, daß sich vor allem die Großunternehmer bereit zeigten, für die großzügige Behandlung durch die Regierung Gegenleistungen zu erbringen und den Reaktivierungsplan durch Investitionen in den prioritären Bereichen des Massenkonsums zu unterstützen. Insbesondere die Kapitäne der Finanz– und Industriekonglomerate, deren Hausbanken nur auf der Verstaatlichungsliste stehen, haben die gebotenen Vorteile genutzt, transferierten ihre Gewinne aber wie gewohnt ins Ausland. Die Umsätze der 44 größten Firmen stiegen 1986 um 27 um 44 zurückgingen. Daß 1986 unter dem Strich um 20 % mehr investiert wurde als im Vorjahr, ist ausschließlich den kleinen und mittleren Unternehmen zu verdanken. Juan Francisco Raffo, Geschäftsführender Direktor des Banco de Credito, der größten peruanischen Bank, hatte noch gehöhnt: „Es sind doch Peruaner, die jedes Jahr eine Millarde Dollar ins Ausland schicken. Die Tölpel, die es nicht verstehen, das Geld im Land zu halten, sind die Regierungen.“ Als sich im März ein Nachlassen der Konjunktur abzeichnete und deutlich wurde, daß von den Großfirmen keine Unterstützung durch Investitionen zu erwarten war, begann das Ökonomenteam des Präsidenten nach wirksameren Mitteln der Investitionslenkung zu suchen als Appellen und Anreizen. Erstmals tauchte das Schlagwort von der Demokratisierung des Kredits auf, heute Leitmotiv in den zahlreichen Reden des Präsidenten. Bis drei Viertel des Kreditvolumens konzentrieren die fünf großen Finanz– und Industriekonglomerate, die verstaatlicht werden sollen, in den Unternehmen der eigenen Gruppe. „Uns ist klar geworden“, so ein Finanz–Beamter, „wie groß der Einfluß von 20 Familien auf die Richtung der Investitionsströme und die Wechselkursentwicklung ist.“ Den Anstoß für die übereilte Lancierung des Verstaatlichungsprojekts gab schließlich die aktuelle politische Situation. Nach innerparteilichen Auseinandersetzungen, nach dem Polizeistreik im Mai und der Kabinettsreise im Juni, hatte die Zugkraft des Präsidenten sehr gelitten. Er brauchte ein massenwirksames Thema, das er außerdem als Hebel benutzen konnte, um den sich abzeichnenden Konjunkturabschwung zu bremsen. In mittlerweile einem guten Dutzend Großveranstaltungen in den Elensvierteln von Lima - allesamt besser besucht als das meeting von Vargas Llosa - versucht er die einfachen Leute mit Revolutionsrhetorik hinter sich zu bringen. Die „Vereinigte Linke“, stärkste Fraktion der Opposition im Parlament, wird ihn bei der Abstimmung über die Verstaatlichung im Senat unterstützen. Falls er diese Runde verliert, wird ihm die Wirtschaftsfraktion der eigenen Partei, die nur aus Parteidisziplin für die Vorlage stimmen wird, zusammen mit den Unternehmern die Rechnung präsentieren. Wenn die Unternehmer, wie angekündigt, auf Obstruktionskurs gehen, so warnt der Historiker Pablo Macera, verspielen sie möglicherweise die vorerst letzte Chance einer großangelegten Modernisierung des peruanischen Kapitalismus.
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