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Blüm sammelt Punkte bei den Bergleuten

■ Nach anfänglichem Pfeifkonzert viel Beifall auf dem Marktplatz in Gelsenkirchen / „Klein aber fein der Junge“ / 10.000 demonstrieren für IGBE–Konzept / IGBE: Weder für noch gegen die Kernenergie

Von Walter Jakobs

Gelsenkirchen (taz) - Hans Necke, Bergmann auf der Zeche Ewald in Herten, war mit „Mucki“ gekommen. Der eineinhalbjährigen Ziege ist der 4 km lange Marsch offensichtlich gut bekommen. Sie macht einen muntereren Eindruck als manche der Demonstranten, die sich am Montagmorgen auf dem Marktplatz in Gelsenkirchen–Buer eingefunden haben. „Aus Tradition“, sagt Hans Necke, habe er die „Bergmannskuh“ mitgenommen, denn „früher hatte doch jeder Bergmann so ein Tier“. Etwa 10.000 sind gekommen - die Polizei spricht von 7.000, die IGBE will 17.000 gezählt haben - , um für eine politische Intervention zu Gunsten des Bergbaus zu demonstrieren. Kaum schwarze Fahnen sind zu sehen; Aufforderungen, die Kohle zu stützen, beherrschen die Plakate. Zielrichtung Bonn: „Nach dem Krieg war der Kumpel gut, jetzt soll er nehmen seinen Hut - Bonn wir kommen“, heißt es etwa. Doch an diesem Tag lief es genau anders herum. Bonn war nach Gelsenkirchen gekommen: Norbert Blüm, der Star des Tages, wurde zwar mit einem gellenden Pfeifkonzert empfangen, aber im Lauf seiner Rede machte der kleine Mann aus Bonn Boden gut. „Es geht doch nicht um CDU oder SPD, es geht um die Sorgen der Kumpel. Und deshalb müssen wir eine große Anstrengung über alle Parteigrenzen hinweg machen und ich danke der Gewerkschaft, daß sie sich an die Spitze der Rettungsaktion gestellt hat“. Nach diesen Worten hatte Blüm es geschafft: Nun übertraf der Beifall die Proteste und so mancher böser Blick traf die unentwegt Pfeifenden. Das Überbrückungskonzept der IGBE bezeichnete Blüm als „verantwortlichen Vorschlag“, der am Ende „die Grundlage der Lösung“ darstellen werde. Was die Bundesregierung konkret tun wolle, sagte Blüm nicht. Allgemeine Formeln erzeugen Zustimmung Ein paar altbekannte Formeln - die „CDU–NRW und die Bundesregierung stehen zur Kohlevorrangpolitik“. Bei „Anpassungen darf es keine Massenentlassungen geben“ - das war es dann schon und es gab wieder etwas fürs Herz: „Alle müssen zusammenstehen, und um dies zu demonstrieren bin ich heute gekommen“. Beifall. Vereinzelte Zwischenrufe: „Arbeiterverräter“ oder „den müßte man in die Wüste schicken“, doch am Ende überwog die Zustimmung. Später von Journalisten gefragt, ob er sich denn vorstellen könne, daß die Bundesregierung sich für ein Zurückfahren der Kernenergie bis zum Jahr 1995 einsetzen werde, wie das IGBE– Konzept fordert, wich Blüm in typischer Weise aus. „Legt mich jetzt nicht auf Zahlen fest. Wichtig ist, daß kein Bergmann ins Bergfreie fällt“. Das müsse man „notfalls mit allen“ Mitteln sicherstellen. Hermann Heinemann (SPD), Arbeitsminister in NRW, war da schon konkreter: „Wir sind uns einig, daß wir auf eine Energiepolitik ohne Kernenergie hinarbeiten müssen. Von dieser Politik gibt es keinen Abstrich“. Das Überbrückungskonzept der IGBE sei auch für ihn „zentrale Grundlage“, sagte Heinemann, ohne allerdings auf den Dissens, nämlich den im IGBE–Konzept geforderten weiteren Ausbau der Kernenergie nach 1995 weiter einzugehen. Die Reduzierung der Kernenergie sei der „konsequente Weg“ zur Sicherung der Kohle. Während Heinemann redete, zog ein Schalker Original die Kameras auf sich. Charly Neumann, „Mannschaftsbetreuer“ und Motor der Schalker Knappen, spannte den Boden zu den Bundesligakickern. „Es geht hier auch um Schalke, denn wenn die Bergleute kein Geld mehr haben, fehlen uns die Zuschauer“. Wenn die „Jungs“ nicht heute ins Trainingslager gemußt hätten - am heutigen Dienstag spielt Schalke gegen Dortmund - „wäre die ganze Mannschaft hier zum Platz gekommen“. Und den Vorschlag eines Beobachters, ein Benefizspiel für Arbeitslose, griff Charly sofort auf. Eine tolle Idee sei das. Sofort nach der Demonstration „werde ich zur Geschäftsstelle fahren und Präsident Oskar Siebert das vorschlagen“. Nach der Saison werde das möglich sein. Walter Beer, Mitglied im IGBE–Vorstand, begründete das Konzept. Das sei „nicht auf Konfrontation, sondern auf Kooperation angelegt“. Beer weiter: „Wir haben mit unserem Konzept nicht für oder gegen die Kernenergie votiert“, sondern „ein Konzept zur Sicherung des deutschen Steinkohlebergbaus vorgelegt“. Die Sicherung des Bergbaus sei „zu wichtig, als daß sie Gegenstand kleinlichen Parteienstreits werden darf“. Der Dissens zur SPD blieb ausgespart In diesem Sinne sei auch der Brief des Betriebsratsvorsitzenden der Ruhrkohle AG an Johannes Rau gemeint gewesen, sagte Beer. Versöhnlerische Worte, die nach den herben Attacken aus der IGBE in den vergangenen Tagen den Dissens zur SPD–Politik aber keineswegs gegenstandslos machen. Auf diesen Dissens ging Norbert Blüm am Montag im übrigen mit keinem Wort ein. Er blieb bis zum Schluß bei seiner Linie, jeden Streit zu meiden und das Gemeinsame zu betonen. Irgendwie hat er damit die Stimmung bei einem großen Teil der Demonstranten wohl richtig getroffen. Während Hermann Heinemann zuletzt mehr oder wenig unbeachtet die Rednertribühne verließ, wurde „Kumpel Nobby“ (Süddeutsche Zeitung) von einem Schwarm von Journalisten und Autogrammjägern fast erdrückt. Auch eine Entschädigung für die Pfiffe, die der Ministerkollege von der SPD nicht hatte erdulden müssen. Horst Niggemeier, Pressesprecher der IGBE und rechter SPD– Flügelmann, zu den Pfeifkonzerten: „Weniger Pfiffe hätten der Sache mehr gedient, aber wie ich Norbert Blüm kenne, läßt der sich davon nicht beeindrucken“. So war es.

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