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Abrüstung oder Entwicklung?

■ Eine UN–Konferenz in New York diskutiert die Wechselwirkung zwischen Abrüstung und Entwicklung / Trotz verbaler Unterstützung durch Industrieländer ist der Plan, einen Entwicklungsfonds für die Länder der Dritten Welt durch Einsparungen bei Rüstungsausgaben zu schaffen, bereits im Vorfeld gescheitert

Von Michael Brzoska

Hamburg (epd) - Der Zusammenhang von Abrüstung und Entwicklung ist das Thema einer internationalen UN–Konferenz, die am Montag in New York begonnen hat. Bis auf eine Ausnahme sind die Staaten der Welt einig, daß es zwischen beiden Problemen einen Zusammenhang gibt. Die Ausnahme ist die US–Regierung, die die Konferenz für unsinnig hält und nicht teilnimmt. Doch auch ohne die USA herrscht bei den Teilnehmern wenig Einigkeit. Hoffnung auf konkrete Beschlüsse gibt es kaum. Nicht immer standen Chancen dieser Konferenz, zu konkreten Ergebnissen zu kommen, so schlecht. Noch im Dezember 1984, als die UN–Vollversammlung beschloß, die Einladung des französischen Staatspräsidenten, 1986 in Paris eine Konferenz zu Abrüstung und Entwicklung abzuhalten, in die Tat umzusetzen, sah es so aus, als wäre man der Umsetzung eines Projektes nähergekommen, das vor allem von den Ländern der Dritten Welt betrieben wird: einem Entwicklungsfonds, der aus Abrüstungsersparnissen gespeist wird. Die Regierungen der Länder der Dritten Welt versprechen sich dadurch zusätzliche finanzielle Mittel. Auch die Sowjetunion setzt sich schon lange für einen Abrüstungsfonds ein. 1973 schlug der Kreml vor, daß die ständigen Mitglieder des UN–Sicherheitsrats die Militärausgaben um zehn Prozent senken sollten, um wiederum zehn Prozent der so einge sparten Mittel der Dritten Welt zur Verfügung zu stellen. Steuer auf Rüstungsausgaben? Hauptadressaten der Aktivitäten in Richtung auf einen Fonds sind die westlichen Industrieländer. Sie sollten nach Vorstellungen der Länder der Dritten Welt und des Ostblocks die Hauptbeiträge leisten. Lange hatten die Industrieländer daran wenig Gefallen gefunden, aber Ende der siebziger Jahre schien diese Haltung aufzuweichen. Die Regierungen der nordischen Länder regten 1977 an, den Zusammenhang zwischen Abrüstung und Entwicklung einmal genauer unter die Lupe zunehmen. Die Brandt–Kommission, 1977 vom Weltbank–Präsidenten McNamara ins Leben gerufen, empfahl in ihrem 1980 veröffentlichten Bericht „Das Überleben sichern“ die Erhebung einer Steuer auf Rüstungsausgaben und Rüstungstransfer, aus der Entwicklungshilfemaßnahmen finanziert werden sollten. Besondere Aktivität entfaltete die französische Regierung. 1978, während der ersten Sondervollversammlung der Vereinten Nationen zur Abrüstung in New York, brachte Präsident Giscard dEstaing den Vorschlag ein, einen Fonds „Abrüstung für Entwicklung“ aufzubauen. 1982, während der zweiten UN–Vollversammlung zur Abrüstung, erneuerte man diesen Vorschlag, und auch die Links–Regierung unter Mitterrand bekannte sich zu ihm. Die Einladung zu einer Konferenz zu „Abrüstung und Entwicklung“ sah die Diskussion des Fonds ausdrücklich vor. Doch wirklich durchschlagende Unterstützung gewann die Idee des Fonds nicht. Wer hätte das gedacht! d.K Schon die Regierungen der nordischen Länder waren nach genauerem Nachdenken dagegen, eine weitere UNO–Bürokratie aufzubauen. Weite Resonanz fand das Argument, daß man durch die Verbindung mit einem Entwicklungsfonds den Rest der Rüstung quasi legitimiere. Heftig kritisiert wurde die Vorstellung, daß mehr finanzielle Mittel auch mehr Entwicklung bringen würden. Außerdem wurde vorgetragen, daß Abrüstung und Entwicklung schon für sich so wichtige Problembereiche seien, daß man mit ihrer Lösung nicht auf eine Verknüpfung warten solle. Von diversen Regierungen wurde argumentiert, Rüstung und Abrüstung dürften nicht getrennt von Sicherheit gesehen werden. Prompt wurde im Sprachgebrauch der UN das Paar Abrüstung und Entwicklung bald durch das Dreieck Abrüstung, Entwicklung und Sicherheit ersetzt. In der Vorbereitungskommission für die Konferenz, die unter Leitung des indischen Abrüstungsexperten Muchkund Dubey zwischen Juli 1985 und Mai 1986 viermal tagte, zeigte sich, daß die Idee des Fonds keine Chance hatte, allgemein akzeptiert zu werden. Allgemeine Zustimmung aber ist nach UN–Regeln für Konferenzen notwendig, damit ein Schlußdokument - vielleicht mit Empfehlungen oder gar Beschlüssen - verabschiedet werden kann. Die westlichen Staaten, dezimiert um die von vornherein nicht teilnehmenden USA, sind nicht einmal bereit, die Idee des Fonds im Schlußdokument erwähnt zu lassen. Sie wollen die Idee ein für allemal begraben. Die neue französische Regierung schloß sich dieser Position an, brachte aber eine neue Idee der Verknüpfung von Abrüstung und Entwicklung auf, nämlich Soldaten aus den Industrieländern in der Dritten Welt personelle Entwicklungshilfe leisten zu lassen Und im „Konfliktfall“ wäre man dann gleich „vor Ort“ nicht wahr? d. K. - zum Beispiel durch Bau von Brücken und Straßen. Wegen des Streits zog sie ihre Einladung jedoch im Mai 1986 wieder zurück. Rüstung in der Dritten Welt Die westlichen Industrieländer wollen überhaupt lieber einen anderen Aspekt des Problems in den Mittelpunkt der Diskussion rücken: die Rüstung in den Ländern der Dritten Welt. Denn gemessen an den vorhandenen Ressourcen und ökonomischen Problemen wird in der Dritten Welt mehr für Rüstung ausgegeben als in den Industrieländern. Aber die Länder der Dritten Welt sind nur begrenzt bereit, diese Diskussion aufzunehmen und verweisen ihrerseits auf die absolut weit höheren Militärausgaben der Industrieländer, die drei Viertel der weltweiten Militärausgaben tätigen. Wenn die Konferenz jetzt trotzdem stattfindet, ist das Ausdruck dafür, daß das Thema zuviel Ei gengewicht gewonnen hat, um in der Versenkung zu verschwinden: Fast sechs Prozent aller im Laufe eines Jahres erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen werden weltweit für Militär und Rüstung aufgewandt; eine Summe von mehr als 850 Milliarden US– Dollar im Jahre 1985. Die gesamte Auslandsverschuldung aller Länder der Dritten Welt, über Jahrzehnte aufgehäuft, ist nur um weniges höher. Seit 1960 sind - in konstanten Preisen von 1983 - 14 Billionen US–Dollar für Militär und Rüstung ausgegeben worden. In derselben Zeit stieg das Bruttosozialprodukt in der Welt nur um 8,6 Billionen US–Dollar. Die weltweiten Militärausgaben übertreffen die weltweiten Entwicklungshilfeleistungen um das mehr als 25fache. Allein der Waffenhandel zwischen Industrie– und Entwicklungsländern hat mit etwa 35 Milliarden Dollar die Größenordnung der weltweiten Entwicklungshilfe. Angesichts der auf 800 Millionen Menschen geschätzten Zahl der Unterernährten und absolut Armen eine Ressourcenvergeudung, die von allen Staaten verurteilt wird. Konversions–Bilanz enttäuschend Doch solche Erklärungen sind wenig wert, solange einzelne Staaten nicht bereit sind, selbst etwas in Bewegung zu bringen. So konnten auf eine Anfrage der UN, ob sie denn die - in der UN–Generalver wurde, unter der Leitung der Staatssekretärin für Rüstungsfragen Inga Thorsson eine zweibändige Studie zur Konversion der schwedischen Rüstungsindustrie erarbeitet. In den Niederlanden soll eine entsprechende Kommission eingesetzt werden. Und die chinesische Regierung vermeldete gar, daß für die eine Million demobilisierter Soldaten Umschulungs– und Eingliederungsprogramme in die zivile Wirtschaft liefen. Trotz der allseitigen verbalen Anerkenntnis der Absurdität der Gleichzeitigkeit von Überrüstung und Unterentwicklung fehlt es offensichtlich an ausreichendem politischen Druck. In der Abschlußerklärung einer Vorbereitungskonferenz zur New Yorker UN– Konferenz in Stockholm im Mai dieses Jahres, an der Vertreter von mehr als 300 Organisationen aus aller Welt teilnahmen, wurde das Konzept der militärischen Stärke, die Überbetonung des militärischen Elementes im Streben nach mehr Sicherheit und die Militarisierung vieler Regierungen und Gesellschaften als wichtigste Hindernisse genannt. Mein Gott, was für Erkenntnisse. Die haben eben was drauf, diese Friedensfunktionäre d.K Michael Brzoska ist Mitarbeiter des Forschungszentrums Kriege, Rüstung und Entwicklung an der Universität Hamburg.

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