: „Wir können hier nicht wie Menschen leben“
■ 600 streikende südafrikanische Bergarbeiter haben gestern vor der Zentrale der Minenkammer in Johannesburg demonstriert / Angebot der Unternehmer sieht zusätzliche Urlaubszahlungen und verbesserte Hinterbliebenenrente vor
Von Hans Brandt
Johannesburg (taz) - In Johannesburgs Finanzviertel, wo auch die Bergbaukonzerne ihren Sitz haben, herrscht in der Regel die gepflegte Ruhe des Kapitals. Hinter marmornen Eingangshallen und goldenem Spiegelglas werden in klimatisierten, holzgetäfelten Büros täglich Millionenbeträge und Tausende von Menschenleben manipuliert. Am Dienstag wurde diese Ruhe durch die wahren Produzenten dieses Reichtums warst auch im Kapital–Kurs, wa? d.k. jäh gestört. 600 streikende Bergarbeiter zogen tanzend und singend vor das Gebäude der Minenkammer, um die dort mit den Minenvertretern verhandelnden Delegationen der Bergarbeitergewerkschaft NUM zu unterstützen. Zum ersten Mal seit Beginn des Streiks von mehr als 300.000 Bergarbeitern vor 18 Tagen wurde wieder verhandelt. „Wir wollen mehr Geld!“ rufen die Arbeiter in Sprechchören. Viele sind gegen den spätwinterlichen Nieselregen in bunte Decken gewickelt. Einige halten ihre Sicherheitshelme wie zur Kollekte den Fenstern und verschlossenen eisernen Türen des Gebäudes entgegen. „Wenn die Arbeiter sich beschweren, kommt die Minenkammer in Schwierigkeiten“, singen die tanzenden Kumpel mit erhobenen Fäusten. Im Hintergrund beobachten mehrere Dutzend Polizisten das Geschehen. Eigentlich ist dies eine illegale Versammlung, doch der Staat greift nicht ein. Offensichtlich beabsichtigen Bergbaukonzerne noch immer, diese Sache ohne Hilfe der Behörden zu lösen. „Es ist egal, wie lange der Streik dauert“, sagt einer der Arbeiter, der aus dem gänzlich von Südafrika umgebenen und wirtschaftlich abhängigen Königreich Lesotho kommt. „Wir werden streiken, bis die Minenkammer sich mit uns einigt.“ Er erzählt, daß er seit 1978 in einer Goldgrube arbeitet. Damals habe er 20 Rand pro Woche verdient. Heute werden ihm wöchentlich 104 Rand (etwa 90 Mark) ausgezahlt. „Das ist noch immer zu wenig“, sagt er. „Ich habe elf Kinder, die ich ernähren muß.“ Er beschwert sich auch über die Lebens– und Arbeitsbedingungen in den Bergwerken. „Wir leben nicht wie Menschen“, sagt er. „Wir leben ohne unsere Familien in Wohnheimen, die für Männer reserviert sind und ständig bewacht werden.“ Ein zweiter Arbeiter, auch aus Lesotho, stimmt ihm zu. „Ich verdiene 200 Rand (180 Mark) im Monat“, sagt er, während er sich die Decke fest um die Schultern zieht. „Soviel kriegen weiße Schulkinder als Taschengeld.“ Er besteht darauf, daß die von der NUM geforderte 30 uns einschüchtern, indem sie auf uns schießen, statt uns die Lohnerhöhung zu geben“, beschwert er sich. Ein alter Kumpel hat ähnlich schlechte Erfahrungen gemacht. „Wenn wir uns über den Lohn beschweren, drohen sie uns mit der Entlassung oder wollen uns zusammenschlagen“, sagt der alte Mann. „Wenn ich die Wahrheit sage über meine Gefühle, drohen sie mir, ich soll mich verpissen. Das geht schon so, seit ich mit diesem Job angefangen habe.“ Als die NUM–Delegation nach vier Stunden das Gebäude verläßt, werden NUM–Generalsekretär Cyril Ramaphosa und NUM–Präsident James Motlatsi von den Arbeitern auf die Schultern genommen. Doch das jüngste Angebot der Arbeitgeber ist noch immer enttäuschend. Sie weigern sich weiterhin, über eine Verbesserung der schon durchgeführten, 23 eine bessere Hinterbliebenenrente und zusätzliche Urlaubszahlungen angeboten. Langsam löst die Demonstration sich auf. Die Arbeiter besteigen ihre Busse. Die Polizei gibt ihnen dazu 20 Minuten. Normalerweise hätte sie sonst nach höchstens fünf Minuten mit Tränengas und Peitschen eingegriffen. Auch die Sicherheitskräfte haben wohl ein Interesse daran, die Lösung des Konflikts Arbeitgebern und der Gewerkschaft zu überlassen. Immerhin haben Regierungsmitglieder betont, daß dieser legale Streik ohne staatlichen Eingriff über die Bühne gehen soll. Am Mittwoch stimmten die streikenden Bergarbeiter über das Angebot der Minenkammer ab. So bleibt weiterhin unsicher, ob der Streik beendet wird, wie Anfang der Woche gehofft wurde. Einige Beobachter meinen, daß das Angebot der Minenkammer eine versteckte Lohnerhöhung enthält. Die verbesserten Urlaubsgelder kommen einer 1,32 das es den Arbeitgebern erlaubt, ihr Gesicht zu wahren, indem sie der NUM–Forderung nur indirekt nachgeben. NUM–Sprecher wollten am Dienstag nicht bekanntgeben, was sie ihren Mitgliedern raten würden. Spendenkonto für die Streikenden bei der Alternativen Liste Berlin: Michael Prütz, Konto–Nr. 610148001, Sparkasse der Stadt Berlin West (BLZ 10050000)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen