: US–Marine plant Blitzkrieg in der Nordsee
■ US–Admiralität hat unbemerkt ihre Kriegspläne für Nordsee und Nordmeer geändert / Angriff statt Verteidigung / Eindringen bis in sowjetische Hafengewässer geplant / NATO–Streit in Sicht / Konfliktbegrenzung der „Flexible Response“ bedeutungslos
Von Andreas Orth
Hamburg (taz) - In Nordsee und Nordmeer soll die Feindfahrt glorreicher Zeiten imperialer Kriegsmarinen wiederauferstehen. Die neue „Maritime Strategy“ der US–Navy sieht für den Kriegsfall Angriffe bis tief in sowjetische Gewässer vor. Landes operationen an den Küsten der östlichen Ostsee sind ebenfalls Bestandteil der geänderten Strategie. Eskalation ist die Devise der US–Seestreitmacht für die Nordflanke der NATO. Bislang ist die Verteidigung der dänischen und norddeutschen Ostseeküste, die Sperrung der dänischen Belte für die sowjetische Baltikflotte und die U–Boot Jagd im Nordatlantik zum Schutz der transatlantischen Nachschubwege die Hauptaufgabe der NATO–Marinen. Nach den neuen Vorstellungen, die an Bord amerikanischer Kriegsschiffe bereits seit 1985 gültige Doktrin sind, steht der Angriff, die Feindfahrt, wieder im Mittelpunkt der Mari ne–Kriegsführung. US–Kriegsschiffe, Fregatten und Flugzeugträgerkampftruppen sollen in den nördlichen Gewässern schon zu Beginn eines Krieges in die Offensive gehen, sowjetische Schiffe, wo immer sie sie treffen, versenken und sich sogar „den Weg in sowjetische Heimatgewässer erkämpfen, erklärte US–Admiral James D. Watkins in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der US– Navy in der offiziösen Marinezeitschrift Proceedings zur Erläuterung der Strategie. In ihren wesentlichen Zügen ähnelt die neue Seekriegsstrategie, die Flankenangriffe über See– und Landeoperationen amphibischer Infanterieverbände auch an den Küsten der DDR und Polens nahelegt, der von SPD und Grünen bereits als Blitzkriegsdoktrin gebrandmarkten US–Heeresdoktrin AirLand Battle. Ausgegraben wurde die neue Seestrategie von Mitarbeitern der Grünen Bundestagsfraktion, die ihre Ergebnisse erstmals am kommenden Wochenende auf einer friedenspoltitischen Tagung in Flensburg vorstellen werden. Ungewohnte Töne kamen vom damaligen US–Marineminister Lehmann, als er im Dezember 1985 die „Maritime Strategy“ einem Kongreßausschuß erläuterte: „Tatsache ist, daß die Nordflanke eine der schlechter verteidigten Regionen der Sowjetunion ist. Alles spreche dagegen, daß die Sowjetunion im Norden Europas kriegerische Auseinandsersetzungen beginne. Das könnte beruhigen, doch deshalb, so die Marine–Logik, müsse im Norden der Gegenangriff mit aller Kraft geführt werden. Wo immer möglich, soll gekämpft werden, Konflikbegrenzung, wie es die immer noch gültige NATO–Strategie der Flexible Response vorsieht, ist was für Landratten: „Die Initiative zu ergreifen eröffnet den Weg, direkt Druck auf die Sowjets auszuüben, den Krieg zu unseren Bedingungen zu beenden - das ist das neue Ziel unserer Strategie, wenn die Abschreckung versagt hat“, verkündete Admiral Watkins. Nur ist der Sieg im Seekrieg in Europa schon seit Scapa Flow, der legendeären Seeschlacht im ersten Weltkrieg, gar nicht populär, und besonders NATO–Länder wie Dänemark und Norwegen dürften an dem Sieg auf See kein Interesse haben. Norwegens Verteidigungsminister ließ vor Militärakadamien schon Kritik durchblicken. Obwohl die neue US–Marinestrategie in der NATO erst nächstes Jahr auf der Tagesordnung steht, behauptete der Navy–Oberbefehlshaber Trost Anfangdieses Jahres, die „Maritime Strategie“ sei bereits mit den Verbündeten abgesprochen und somit von der NATO akzeptiert. Das kann nur heißen, daß die Marine im Norden Kriegspläne ausarbeitet, die an den Verbündeten vorbeigehen. „Kriegsschauplatz Europa“, Samstag, 29.8., Flensburg Hus, Norderstr. 76, 10 bis 19 Uhr.
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