: Vom Neofaschismus ist kaum die Rede
■ Im Prozeß um den Mord an dem Skinhead Roger Bornemann beantragte die Verteidigung den Abschluß der Beweisaufnahme / Ihre Begründung: Politische Motivationen spielten keine Rolle / Das Gericht lehnt die Anträge ab
Aus Hannover Jürgen Voges
„Natürlich sind wir alle hier auf der Verteidigerbank dafür, daß die FAP und die Kameradschaft EK 1 verboten werden“, sagt Rechtsanwalt Eberhard Nicolai, der im Prozeß um den Mord an Roger Bornemann den Angeklagten Skinhead Tom K. vertritt. Doch der Rechtsanwalt hat gerade die Jugenkammer des Landgerichts aufgefordert, die Beweisaufnahme zu beenden, ohne sich der Zugehörigkeit der vier Angeklagten Skinheads zur „Kameradschaft Eisernes Kreuz“ oder zur FAP weiter zu beschäftigen. Sein Verteidigerkollege Fritz Willig schließt sich diesem Antrag an. Die Vernehmung von drei der Angeklagten und die Verlesung der polizeilichen Vernehmungsprotokolle, so argumentiert die Verteidigung, habe den Mordfall hinreichend aufgeklärt, es sei unnötig, über das politische Umfeld noch weiter Beweis zu erheben. Doch schon der Staatswalt merkt an: „Es muß auch für die Zumessung der individuellen Schuld untersucht werden, wie rechtsradikale Gruppen Jugendliche zu solchen Taten bringen können.“ Und Gerhard Schröder erklärt für die Nebenkläger, den Vater und die Schwester von Roger Bornemann: „Auch ein gerechtes Urteil gibt unseren Mandanten Sohn und Bruder nicht wieder. Sie haben aber ein Recht, auch die Hintergründe Todes von Sohn oder Bruder zu erfahren.“ Die vier Angeklagten wirken unbeteiligt und senken den Blick, während ihre Verteidiger vortragen. Sie haben sich während der Untersuchungshaft natürlich die Haare wachsen lassen, und jetzt ohne die martialische Skinhead– Kluft stehen bei allen vieren die erwachsenen kräftigen Körper in merkwürdigem Kontrast zu den sehr jugendlichen Gesichtern. Drei dieser oft verlegenen Riesenbabys, Peter, Hans–Jürgen und Marco, haben zum Tathergang ausgesagt. Nur Tom, der in den Augen der Anklage die treibende Kraft des Verbrechens war, hat geschwiegen. Weil es für ihn psyschisch nicht zu verkraften sei, in der Öffentlichkeit sein umfassendes Geständnis zu wiederholen, erklärt sein Verteidiger. „Da habe ich ihm dann eine aufs Auge gehauen“, und damit sei die Sache dann auch erledigt gewesen, so schildert der Angeklagte Peter St. die erste Auseinandersetzung am Tattag mit Roger Bornemann, dem Underdog der Fünfer– Gruppe. Während eines alkoholisierten Zuges durch die Stadt hat Roger Bornemann dann schließlich eine Whisky–Flasche umgestoßen. „Tom hat ihm dann eine reingehauen oder getreten“, sagt Marco. „Mit der Hacke oder der Fußspitze haben dann auch die anderen reingetreten“, sagt Hans– Jürgen Sch. Er hat als einziger zu Beginn seiner Aussage Vater Bornemann fast unter Tränen um Verzeihung gebeten und ihm versi chert, er habe alles getan, um den Tod seines Sohnes zu verhindern. Die drei aussagebereiten Angeklagten versuchen, vor Gericht ihren Kameraden Tom weniger zu belasten als in ihren polizeilichen Aussagen. Daß Tom es war, der die Idee hatte, Roger Bornemann auf den Spielplatz im hannoverschen Stadtwald Eilenriede zu bringen, daß er dabei schon vom „Fertigmachen sprach“, all das geben sie erst nach Vorhalt des Gerichts einigermaßen zu. Immer wieder kommt der Satz: „Wenn ich das bei der Polizei gesagt habe, muß es wohl stimmen.“ Der Satz fällt auch, als das Gericht die Aussagen zum Motiv vorhält, das Tom wahrscheinlich hatte, um seine drei Schläger immer wieder anzuheizen. Tom habe Roger schon Tage vorher als Verräter bezeichnet, gibt Marco zu. Und Hans–Jürgen bestätigt: „Tom hat ihn totgeschlagen, weil Bornemann ihn bei der Polizei extrem belastet hatte“. Doch in seiner Aussage vier Tage vor dem Mord hatte Roger Bornemann nicht nur Tom, sondern auch den „Kameradschaftsführer des EK 1“ Bernd Futter und auch die FAP „belastet“. Er hatte über vier Brandanschläge gegen Wohnungen von Ausländern ausgesagt. Die Mollies dafür sollen u.a. von Futter in der „FAP–Zentrale“ hergestellt worden sein. So glaubt wohl niemand der Prozeßbeteiligten, daß der Mord allein Folge des Alkohols war oder „eines Rausches“ der Gewalt, wie zwei der Angeklagten es darstellen. Dem Vorsitzenden der Jugendkammer, Richter Werner Kausch, mißfällt das öffentliche Interesse an diesem Verfahren. Alles, was wirklich aufzuklären wäre, hat er zunächst hintangestellt. „Um erst mal Grund in die Sache zu bringen“, so sagte er schon am dritten Verhandlungstag, wolle sich das Gericht vorerst mit dem reinen Tathergang beschäftigen. Fragen zum persönlichen und politischen Hintergrund der Angeklagten, zum neofaschistischen Milieu, aus dem die Tat entstanden ist, waren von Anfang an auf den Oktober verschoben worden, denn bis dahin wird der Prozeß ab der nächsten Woche erstmal unterbrochen. Zumindest den Antrag der Verteidiger auf Abschluß der Beweisaufnahme hat das Gericht gestern abgelehnt. Sie soll wie vorgesehen fortgesetzt werden.
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