: Der böse Geist des Ortes
■ Ausstellung zur „Aktion T 4“ am 1. September eröffnet: 1939 begann an diesem Tag der Krieg nach außen und nach innen - „Euthanasie“ / Ein vergessener Platz weckt die Inkompetenz des Berliner Kultursenators Hassemer
Von Klaus Hartung
Berlin (taz)– „Wir alle werden noch viel Energie aufzubringen haben, die Zentralen der Vernichtung zu enttarnen.“ Das sagte am Dienstag abend Heinz Galinski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlins. Eröffnet wurde die Ausstellung zu einer der wichtigsten Zentralen des Terrors, eine Ausstellung über die „Aktion T 4“, Tiergartenstraße 4, jener Tiergartenvilla, in der das organisiert wurde, was in der Nach kriegszeit verniedlicht „Euthanasie“ hieß. Den Ort „enttarnen“? Tatsächlich handelte es sich bei dieser Ausstellungsinitiative darum, eine historisch längst bekannte Tatsache am längst bekannten Ort aufzudecken. Es handelt sich um den Eingangsbereich der Scharounschen Philharmonie, um den Busparkplatz. Hier stand jene Tiergartenvilla, 1938 „arisiert“, in der in den Jahren 1939 bis 1941 der Mord an Psychiatriepatienten organisiert wurde. 350 „Spezialisten des To des“ haben hier bis 1945 gearbeitet. Nach 1941, nach dem offiziellen Ende der sogenannten „Euthanasie“ begann die „wilde“, die dezentralisierte Euthanasie. Die Opfer dieser Behörde waren dann „Asoziale“, Tbc–Kranke, vom Bombenkrieg verstörte Menschen .. die Kategorien der Opfer inflationierten. Nicht nur, daß diese Stelle als „Ort des Gedenkens nicht zu entdecken“ (Galinski) ist, das Grundstück Tiergartenstraße 4 existiert nicht einmal mehr, folgt man Kau perts „Straßenführer durch Berlin“. Schon gar nicht existiert es in der 40jährigen Dauerdebatte um das Kulturforum. Das Verdienst jener Initiative „Mobiles Museum“, die seit einem halben Jahr an dem Projekt arbeitete, ohne auch nur einen Tropfen aus der 750–Jahres–Gießkanne abzubekommen, kann also gar nicht genug gewürdigt werden. Einer der Initiatoren, Götz Aly, mußte mit privaten Mitteln die Finanzierung des Kataloges absichern. Die Initiatve „Mobiles Museum“ hat einen ausrangierten Doppeldeckerbus auf dem Parkplatz abgestellt - graugestrichen, so daß er an die Transportbusse der „Gekrat“ (der „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH“) erinnert, mit denen die Opfer in die Tötungsanstalten „verschubt“ wurden. Zwölf Tafeln, klar gegliedert, im Bus geben Grundinformationen über die Geschichte dieser Behörde. Bei der Pressekonferenz zeigte sich, wie nötig selbst diese Informationen für die Interessierten sind. Selbst die Entstehungsgeschichte des Namens „Aktion T 4“ löste Überraschung aus; neu waren auch die Tatsachen der „Sonderbehandlung“ jüdischer psychiatrischer Häftlinge, der Ausweitung der Vernichtung auf Tbc–Kranke, Geschlechtskranke etc. Heinz Galinski erwähnte die im Frühjahr eröffnete Ausstellung „Topographie des Terrors“ auf dem ehemaligen Gestapogelände. Dort befindet sich ein Hinweis auf die „Aktion Reinhard“, den niemand versteht - jetzt kann er im Bus vor der Philharmonie nachlesen, was das hieß: die Überstellung von 100 „Spezialisten des Todes“ (Aly) in die Vernichtungslager in Polen. Etwa 200 Interessierte waren zur Eröffnung am Dienstag abend gekommen. Irritierte Besucher des Konzerts zur Eröffnung der „Festwochen“ - es nahm auch das Jerusalemer Symphony Orchestra teil - ließen sich von der Lautsprecherübertragung in die Philharmonie begleiten. Udo Sierck von der Hamburger Krüppelinitiative fragte nach der Kontinuität der Behindertenfürsorge vom Nationalsozialismus bis heute, beunruhigt, daß es „keinen (bürokratischen) Unterschied gibt zwischen Verbrechen an Behinderten und dem wohltätigen Handeln an Behinderten“. Bedeutend war auch die für hiesige Verhältnisse wichtige Stellungnahme von Prof. Thom, Medizinhistoriker aus Leipzig: In der DDR sei es inzwischen gesicherte Erkenntnis, daß die nationalsozialistischen Psychiatrieverhältnisse bis in die Jahre 1946/47 andauerte, daß die Kranken dahinstarben, weil „große Schwierigkeiten bestanden, die materiellen und ethischen Normen anzuheben“. Mit dem Begriff „historisch schwer belastetes Gelände“ konnte sich der Senat in den letzten Jahren überzeugen, daß das Gestapogelände nicht einfach planiert werden kann. Allerdings: Der Kataster der „historisch schwer belasteten Gelände“ muß erst eröffnet werden. Just am Ort will Berlin die knapp eine Million DM teuere Plastik von Serra (“Berlin Curves“) abstellen. Die Kultursenatsbehörde reagierte - formal richtig, allerdings auch gereizt - auf die äußerst späte Anfrage auf Unterstützung für diese Ausstellung und für eine Gedenktafel: Der Pressesprecher: „Wir sind dafür nicht zuständig.“ Und der Planungsreferent Schneider, offenbar wütend über Druck in der letzten Minute, sagte schließlich in einem Telefongespräch mit Herrn Aly: „Und wenn man dann noch mit dieser Judensache erpreßt wird.“
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