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Dorf will Flüchtlinge behalten

■ Im hessischen Dietesheim sollen Asylbewerber ein Hotel räumen, um Platz zu schaffen für deutsche Spätaussiedler / Einige Bürger wehren sich gegen die Vertreibung der Asylbewersber aus ihrem Ort

Aus Dietesheim Florian Schwinn

Der Bescheid kam am Samstag und löste Entsetzen und Panik aus. Die 29 politischen Flüchtlinge, die seit Monaten im Dietesheimer Hotel Scheid,im Kreis Offenbach zusammenleben, sollen „unverzüglich“ ihre Unterkunft räumen. Der letzte Absatz des amtlichen Schreibens an die Asylbewerber droht mit „Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr“, falls sich jemand weigern sollte, auszuziehen. Der zuständige Oberamtsrat muß geahnt haben: Die Dietesheimer Asylbewerber weigern sich tatsächlich und mit ihnen auch Dietesheimer Bürger. Eine Unterschriftensammlung brachte noch am Samstag abend fast 200 Namen auf eine schnell zusammengestellte Liste. „Nicht schlecht für eine Blitzaktion in einem Ort mit nur 4.000 Einwohnern“, meinte die katholische Gemeindereferentin Ulrike Kaiser, als sie die Liste am Montag morgen im Kreissozialamt abgab. Der Protest der katholischen und der evangelischen Kirchengemeinde machte allerdings in Offenbach wenig Eindruck. Über 20.000 Spätaussiedler und „Umzügler“ sind in diesem Jahr in der Bundesrepublik angekommen. Dank Gorbatschow und Honecker. „Wir haben ja nichts gegen die Aussiedler“, sagt der evangelische Pfarrer von Dietesheim, „wir nehmen sie gerne auf. Aber nicht auf Kosten unserer Asylbewerber.“ Zu den politischen Flüchtlingen nämlich gibt es enge Kontakte. „Nicht daß sie schon integriert wären“, sagt Pfarrer Rumpeltes, „aber ein Anfang ist gemacht.“ Die Asylbewerber aus Iran, aus Afghanistan, Rumänien und Sri Lanka schicken ihre Kinder zu gemeinsamen Bastelnachmittagen, spielen im Fußballclub mit, sind im Judo–Verein. Die meisten von ihnen haben schon eine lange Odyssee durch diverse hessische Heime hinter sich. Das Dietesheimer Hotel Scheid ist für sie der erste Ort, an dem sie länger bleiben konnten. Zudem ist es eine ausgesprochen gepflegte Unterkunft. Und vor allem - mit Familienschluß. Ein junger Afghane, der allein in die Bundesrepublik geflüchtet ist, hat hier „ein richtiges Zuhause“ gefunden. Für ihn ist die Hotelbesitzerin Scheid einfach „Mama“, die anderen Asylberwerber im Hotel sind seine „Familie“. „Wenn ich hier weg muß, ist alles aus“, sagt Mohammed. „Man sucht immer einen Freund. Ich habe hier Freunde gefunden.“ Im Hotel ist noch Platz. Es ist nicht einmal zur Hälfte belegt. „Warum“, so Christine Lotz von der katholischen Jugend, „können nicht einfach so viele Aussiedler kommen, wie noch hineinpassen?“ Der erste Kreisbeigeordnete Alfons Faust (CDU) weiß die Antwort. „Asylanten und deutschstämmige Aussiedler passen nicht zusammen. Wir haben da schlechte Erfahrungen gemacht.“ Die einen bekommen Arbeitslosengeld, die anderen nur Sozialhilfe. „Das gibt böses Blut.“ Der zuständige Oberamtsrat Funkert bringt es auf den Punkt. Im Gespräch mit Dietesheimer Bürgern erklärte er, warum gerade Asylbewerbern ein Umzug in eine neues Heim immer wieder zugemutet werden kann: „Die sind das doch gewöhnt.“ „Wie Vieh werden die hier verladen und verschickt“, sagt Ulrike Kaiser. Die Dietesheimer wollen den Abtransport ihrer Asylanten verhindern: „Am Dienstag, wenn die Busse kommen, um sie abzuholen, werden wir vor dem Hotel stehen.“

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