: Stabilisierung des Protokolls
■ Honecker war in der Bundesrepublik
Wenn „Oberindianer“ (Udo L.) offiziell in einen anderen Staat reisen, gibt es symbolischen Klimmbimm: Hymnen, Fahnen, Händeschütteln usw. Das Protokoll hindert Gastgeber und Gäste an gegenseitigen Verunglimpfungen. Beim Honecker–Besuch war das Protokoll geschichtsmächtig; es hat die staatliche Anerkennung der DDR endg Umstritten blieb die Frage der Nation. Staatsrechtler und Politologen können fortfahren, ihre Leser damit zu langweilen. Der brisante Kern des Ganzen, die Staatsbürgerschaft, bleibt offen. Man stelle sich vor, sie würde im Sinne der DDR–Führung definiert. Dann ließe sich folgendes Szenario denken: In alten Trabbis und Ikarus–Bussen rücken autonome Umweltschutzgruppen aus Schleiz und Schkopau an, um bei der Verhinderung einer WAA in Hof mitzuhelfen. Die bayerische Grenzpolizei weist sie als unerwünschte Ausländer zurück. Die DDR–Regierung protestiert, und der bayerische Ministerpräsident Gauweiler wird bei einem Disco–Besuch in Jena vom Publikum ausgebuht. All das wäre nur nach der Anerkennung der DDR–Staatsbürgerschaft möglich, sonst könnte der Grenzübertritt nicht verhindert werden. Es gibt aber triftige Gründe anzunehmen, daß Honecker eine solche Situation nicht gemeint hat, als er auf die Grenzregelungen zwischen Polen und der DDR verwiesen hat. Dort sind die Übertritte außerordentlich restriktiv reglementiert. Nur wenn die Bundesrepublik die DDR–Staatsbürgerschaft anerkennen würde, wäre die Flucht ein illegaler Grenzübertritt auch im Westen, und es gäbe eine juristische Handhabe, die Übertreter zurückzuschicken. Dann fiele der „Schießbefehl“, und die Grenze diente nur noch dazu, das anarchische Hin– und Herlaufen zu unterbinden. Auch für die DDR–Führung bleibt dergleichen noch Zukunftsmusik. Immerhin hat sie etwas anderes erreicht. Auch wenn der Besuch und seine journalistische Beachtung in beiden Staaten so etwas wie Einheitsgefühle wiederbelebt haben, kann sich die DDR–Führung nun in besonderer Weise bestätigt sehen. Wie schon das kürzlich veröffentlichte Positionspapier zwischen SPD und SED hat das Protokoll mit der staatlichen Realität zugleich deren offizielle Interpretation anerkannt. Das ist bei Staatsbesuchen immer der Fall; sonst gäbe es ja auch keinen Grund, bei einigen von ihnen zu protestieren. Honecker und seine Mannschaft können nun gestärkt den Reformeifrigen entgegentreten, die im Inland und vom östlichen Ausland her eingreifende Veränderungen fordern. Erhard Stölting
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