: Israels militärische Überlegenheit ist ungebrochen
■ Der Jahresbericht des Instituts für Strategische Studien der Universität von Tel Aviv enthält erstmals ein Kapitel über atomare Rüstung / Der Leiter des Instituts, General Yariv, ehemals Direktor der militärischen Geheimdienste des Landes, plädiert für eine Friedensinitiative aus der Position der Stärke heraus
Aus Tel Aviv Amos Wollin
Die arabischen Staaten werden auch in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein, Israels Vorsprung auf dem Gebiet der atomaren Waffen einzuholen. Dies geht aus dem jetzt vorgelegten Jahresbericht des Instituts für Strategische Studien der Universität von Tel Aviv über die militärische Lage im Nahen Osten hervor. Als Ursachen benennt der Bericht mangelnde technologische und finanzielle Voraussetzungen der arabischen Staaten sowie die israelische Politik der „vorbeugenden Intervention“, mit der eventuelle Vorbereitungen zur Herstellung atomarer Waffen bereits im Kein erstickt werden sollen, wie etwa im Falle der Zerstörung des irakischen Reaktors „Osirak“ im Juni 1981. Neu ist, daß der Jahresbericht erstmals auch ein Kapitel über das „nicht–konventionelle Potential“ im Nahen Osten enthält. Darin heißt es, das unter den islamischen Staaten einzig Pakistan bemerkenswerte Erfolge auf dem Weg zur Atommacht zu verzeichnen hat. Unter Israels Nachbarn sei gerade Syrien, das sonst häufig als Bedrohung dargestellt wird, am weitesten von einer eigenen atomaren Rüstung entfernt. Was Israel anbelangt, so hat dem Bericht zufolge der fast dreißig Jahre alte Reaktor in Dimona „voraussichtlich eine gewisse Menge Plutonium erzeugt“. Dabei greifen die Autoren jedoch auf allgemein zugängliche Informationen zurück. So wird der französische Experte Perrin zitiert, der im Oktober vergangenen Jahres erklärte, Frankreich habe Israels geheime unterirdische Fabrik zur Herstellung von Plutonium für Atombomben gebaut. Außerdem, so heißt es weiter, habe die Affaire um den wegen Hochverrats angeklagten israelischen Atomtechniker Vanunu, der selbst in Dimona tätig war, die „bestehenden weitverbreiteten Annahmen von Israels hervorragendem wissenschaftlichem Potential auf nuklearem Gebiet weiter bestärkt“. Derlei Formulierungen entsprechen der vom Institut unterstützten amtlichen Politik der Zweideutigkeit. Der Leiter des Instituts, Reservegeneral Aharon Yariv, erklärte dazu, eine eindeutige, offene Bestätigung des atomaren Potentials Israels würde die arabischen Nachbarstaaten antreiben, sich selbst Atomwaffen zu verschaffen. Daran könne Israel aber nicht interessiert sein. Oder, wie es im Jahrbuch heißt: „Würde Israel offen bestätigen, daß es über Atomwaffen verfügt (..), dann wäre es wahrscheinlicher, daß die Sowjetunion ihrerseits eine atomare Verpflichtung gegenüber Syrien übernimmt.“ Eine „Änderung der Politik der Ungewißheit“ könnte die arabische Seite „dazu veran lassen, ihre Probleme zu lösen und gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um nukleare Parität mit Israel zu erreichen (...). So wie die Dinge jedoch stehen, können wir voraussetzen, daß Israels nukleares Potential die Araber abschreckt und davon zurückhält, einen totalen Krieg gegen Israel zu führen, der Israels lebenswichtige Zentren oder die Existenz Israels bedroht.“ Man könne davon ausgehen, daß die Faktoren, die bisher eine arabische „nukleare Option“ verhindert haben - darunter auch die Politik der „vorbeugenden Intervention“ - auch in der nahen Zukunft gültig bleiben, meinen die Autoren des Berichts. Gleichzeitig stellen sie fest, daß die Überlegenheit Israels auch im konventionellen Bereich nach wie vor besteht. Weitere Faktoren für die militärische Überlegenheit Israels werden angeführt: der anhaltende iranisch–irakische Krieg, die innerarabischen Meinungsverschiedenheiten, die wachsenden wirtschaftlichen Probleme der arabischen Staaten, das strategische Abkommen mit den USA sowie das separate Friedensabkommen mit Ägypten. Das militärische Potential im Nahen Osten hat sich seit dem Krieg von 1973 verdoppelt. Das Wettrüsten geht weiter, gekoppelt mit einer Modernisierung und Technisiserung der Streitkräfte. General Yariv, ein ehemaliger Direktor der militärischen Geheimdienste, der mittlerweile zu den pragmatisch eingestellten „Tauben“ zählt, meint zusammenfassend, daß es für Israel nun ratsam wäre, die Initiative für einen Friedensprozeß zu ergreifen, umsomehr, als Israel derzeit noch die strategische Vormachtstellung in der Region innehat. Es sei anzunehmen, daß dieser Vorteil in Zukunft schwindet. Die Modernisierung der arabischen Streitkräfte werde künftig einen raschen Sieg Israels auf arabischem Territorium, wie es in den bisherigen Kriegen üblich war, erschweren. Daher, so General Yariv abschließend, sei es an der Zeit, daß Israel jetzt aus der Position der Stärke heraus eine Initiative für eine Friedensregellung im Nahen Osten ergreift.
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