Dem US–Supreme Court droht der Roll–Back

■ Robert Bork, Reagans Kandidat für den vakanten Sitz am Obersten Gerichtshof, hält viele erkämpfte Rechte der letzten Jahrzehnte für verfassungswidrig

Aus Washington Stefan Schaaf

Ein Gespenst geht um in den Vereinigten Staaten - das Gespenst des Obersten Richters Bork. Bürgerrechtler und Basisgruppen, Feministinnen und Friedensfreunde, Radikale und Rechtsanwälte haben sich gegen ihn verschworen, um zu verhindern, was schon immer eines der wichtigsten Vorhaben der Reagan–Administration gewesen ist: die sechs Jahre lang bewahrte empfindliche Balance zwischen liberalen und konservativen Richtern am Supreme Court aus dem Gleichgewicht zu bringen und eine Mehrheit für die juristischen Vorstellungen der Reaganisten herbeizuführen. Da die Obersten Richter in den USA auf Lebenszeit bestimmt werden, bietet sich für die Reagan– Administration jetzt die Chance, dem Supreme Court bis ins nächste Jahrtausend ein konservatives Gesicht zu geben. Eröffnet wurde diese Perspektive durch den Rücktritt von Richter Lewis Powell im Juni, der immer wieder eine Mittlerposition zwischen den vier als liberal geltenden und dem Quartett konservativer Oberster Richter eingenommen hatte. Bei zahlreichen, mit 5:4 entschiedenen Fällen hatte Powell, ein bescheidener und bedächtiger Jurist aus Virginia, die entscheidende Stimme abgegeben. Reagan zögerte nicht lange, dem Senat seinen Favoriten für den verwaisten neunten Richterstuhl zu präsentieren: Robert H. Bork, Richter am Bundesberufungsgericht in Washington und in Juristenkreisen als extremer Vertreter konservativer Auffassungen zu politisch heiklen Fragen wie Abtreibung, Todesstrafe, und Rassen– wie Geschlechtergleichheit. In der Geschichte der USA hat es immer wieder Streit darum gegeben, wie weit der Supreme Court den Parlamenten der Einzelstaaten und dem Kongreß in Washington in die Parade fahren dürfe. In den dreißiger Jahren war es der liberale, demokratische Präsident Roosevelt, der dem Obersten Gericht „richterlichen Aktivismus“ vorwarf, weil dieses seiner „New Deal“–Politik Steine in den Weg legte. Doch seit der Ära des liberalen Obersten Richters Earl Warren in den fünfziger und sechziger Jahren, als der Supreme Court den Weg für schwarze Bürgerrechte freimachte, ist dieser Vorwurf eher aus der konservativen Ecke zu vernehmen. Wenn es nach Robert Bork, Reagans Justizminister Meese und konservativen Rechtsexperten ginge, dürfte der Supreme Court nur solche Fragen entscheiden, über die in der Verfassung selbst Aussagen gemacht werden. Wenn dies nicht möglich sei, liege eine Entscheidung nicht bei den Gerichten, sondern in den Händen der gewählten Parlamente. Liberale Kritiker dieser Auffassung halten dagegen, daß der „Wille der Gründerväter“ kaum festzulegen sei, denn nicht einmal ihre Beratungen während des Verfassungskonvents von 1787 sind in verläßlicher Form überliefert. Außerdem könne man sich nicht über die simple Tatsache hinwegsetzen, daß die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten beiden Jahrhunderte eine neue Situation geschaffen haben, die von den Richtern berücksichtigt werden müsse. Richter Bork hat immer wieder deutlich gemacht, daß er der erstgenannten Schule vorsteht und daß er die meisten der wegweisenden Entscheidungen, die der Oberste Gerichtshof in den letzten dreißig Jahren gefällt hat, deswegen für angreifbar hält. Die Freigabe der Abtreibung etwa, die der Oberste Gerichtshof im Jahr 1973 verfügte, weil das Recht einer Frau auf Privatsphäre höher zu bewerten sei als das vermeintliche Recht eines Fötus auf Leben, ging Bork zu weit. In der Verfassung stehe nichts von einem „Recht auf Privatsphäre“, und deswegen habe der Gerichtshof kein Recht gehabt, gegenlautende Gesetze einzelner Bundesstaaten außer Kraft zu setzen. Konflikte auch mit Konservativen In einer Rede ging Bork gar so weit, mit der gleichen Begründung das Prinzip „One man, one vote“ anzugreifen: es komme weder bei den Gründervätern noch in den später verabschiedeten Verfassungszusätzen vor. Doch Borks Beharren auf diesem rechtsphilosophischen Prinzip der „richterlichen Zurückhaltung“ hat ihn bisweilen auch mit konservativen Kräften zusammenstoßen lassen, so als diese nach der Abtreibungsfreigabe ein Gesetz im Kongreß durchsetzen wollten, das einem Fötus alle Rechte einer „Person“ zusprechen sollte. Dies sei illegitim, so Bork, denn das Parlament habe kein Recht, Entscheidungen des Supreme Court auf diese Weise durch Gesetze zu korrigieren. Man dürfe einen Fehler der Obersten Richter nicht durch einen weiteren der Parlamentarier zu korrigieren versuchen. Wie immer Bork seine Kritik am gesellschaftspolitischen „Aktivismus“ der bisherigen Obersten Richter auch begründet, für die breite Koalition seiner Gegner im liberalen Lager ist vor allem das politische Resultat entscheidend. Und da steht zu befürchten, daß ein Richter Bork am Supreme Court viele soziale Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zunichte machen würde. Dank seiner fünften Stimme für den konservativen Richterblock könnte die Abtreibungsregelung verschärft werden, die Quotenregelung für Minderheiten, die ihnen bestimmte Anteile an Jobs oder Studienplätzen zusichert, wäre gefährdet. Frauen oder Schwule müßten damit rechnen, Schutz vor Diskriminierung zu verlieren. Dem Obersten Gerichtshof liegen bereits entsprechende Fälle für seine nächste Sitzungsperiode, die im Oktober beginnt, vor. Entschieden werden soll auch, ob jugendliche Mörder zum Tode verurteilt werden können, obwohl sie zum Tatzeitpunkt noch nicht 18 Jahre alt gewesen sind. Da die Verfassung die Todesstrafe mit anderen Strafmethoden gleichsetzt, hat Richter Bork mit dieser Frage kein Problem. Die Kontroverse um den umstrittenen Juristen hat liberale Basisgruppen und konservative Lobby– Organisationen in eine heftige öffentliche Debatte verstrickt. Im ganzen Land sammelten Bürgerrechts– und Frauenorganisationen Unterschriften gegen Bork, während in Washington das konservative „National Political Action Committee“ über eine Million Dollar bereitstellte, um eine Briefkampagne für Bork zu starten. So vehement stiegen konservative Ultras für den Richter in den Ring, daß es dem Weißen Haus bereits mulmig wurde. Schließlich versuchten Reagans Leute, ihren Kandidaten gerade dem Senat, der die Nominierung bestätigen muß, als „Gemäßigten“ zu verkaufen. Die vor Borks Bestätigung anstehenden Hearings im Justizausschuß des Senats sollen in dieser Woche beginnen. Im Oktober wird im Senat die entscheidende Abstimmung folgen, bei der Bork eine einfache Mehrheit der 100 Senatoren benötigt. Die Anhörungen werden mit ähnlicher Spannung erwartet wie die Irangate–Hearings der vergangenen Monate. Dem Vorsitzenden des Ausschusses, Delawares Senator Joe Biden, kommt die Rolle des Inquisitors gerade recht - eine bessere Gelegenheit zur Profilierung hätte sich der demokratische Präsidentschaftsbewerber nicht wünschen können. Doch Biden begibt sich auf ein heißes Pflaster. Traditionell überprüft der Senat nur die juristische Qualifikation eines Richterkandidaten - diesmal werden jedoch vor allem dessen politische Auffassungen auf die Tagesordnung gehören. Die nächsten beiden Wochen werden zeigen, wie weit der Kampfgeist der Demokratischen Partei geht, wenn es um die Wurst namens Supreme Court geht.