: Keinen Sand in die Augen streuen lassen
■ Der SPD–Politiker hält die Diskussion über eine „Öffnung der CDU“ für ein gehobenes Alchimistenstück
Alle reden von Geißler, also auch die taz. Und ich muß mitreden. Dabei glaube ich dem Geißler kein Wort. Aber es ist schon ein Lehrstück, wie es dem Generalsekretär gelingt, aus Scheiße Gold zu machen. Das gehobene Alchimistenstück funktioniert, weil die Linke danach giert, sich hinters Licht führen zu lassen. Das Strickmuster ist einfach: Man nehme einen ausreichend prominenten Rechten, bisher ausgewiesen durch brutalisierte Sprache gegenüber Andersdenkenden (Geißler hat da zu wahren Orgien beigetragen), setze ihn auf ein sensibles Thema, sorge für eine wirkungsvolle Inszenierung und warte gelassen ab. Zwei Dinge treten mit Sicherheit ein: 1. Die Medienmacht der Rechten reicht aus, um den Vorgang öffentlich zu machen. 2. Die Linke beginnt eine Strategiediskussion und macht sich Gedanken über die Wandlungsfähigkeit der Union. Das Thema verschwindet aus der Debatte, die Theorien der Linken über die Modernität der CDU bleiben, und der Veranlasser reibt sich die Hände. Er ist jeglicher Verpflichtung zur Einhaltung seiner hehren Ziele entbunden und hat eine abstrakte Debatte über seine Partei und das die Menschen bewegende Thema. Das Thema ist danach „besetzt“. Wir haben ein paar andere Probleme, die uns nahelegen, dieses Spiel nicht mitzumachen. - Es gibt das Menschenrecht auf Frieden. Der ist durch jegliche Atomrüstung bedroht. Also finden wir uns nicht mit dem von Reagan erzwungenen Verzicht auf die Pershing 1A ab, sondern treiben die Diskussion weiter. Ein atom– und chemiefreies Europa, eine durchschlagende Verminderung der konventionellen Rüstung, ein Einfrieren der Verteidigungshaushalte gehört in den Mittelpunkt der Debatte um das Menschenrecht auf Frieden. - Und weiter zum Thema. Wie kommen wir eigentlich dazu, Geißler über Menschenrechte schwätzen zu lassen, während gleichzeitig das Asylrecht des eigenen Landes zum Wurmfortsatz der Arbeitslosenproblematik verkommt? Und was ist mit dem Ausländerwahlrecht? Ist Geißler dafür oder dagegen. Mit einem deutlichen ja zum Ausländerwahlrecht könnte er zeigen, daß er nicht die taktische Diskussion wählt. - Modernität und Offenheit, eine „Öffnung der CDU nach links“ können wir uns auch nicht dadurch aufschwatzen lassen, daß Geißler, Blüm und Süßmuth sich gegen die Verschärfung des §218 aussprechen. Die Lage für die betroffenen Frauen ist auch jetzt unerträglich genug. Und wie hält es die CDU und ihr Herold Geißler eigentlich mit der Kernkraft. Die - geringe - Betroffenheit dieser Leute nach Tschernobyl ist doch längst vergessen. Im Gegenteil: die Bundeseregierung setzt Nordrhein–Westfalen unter Druck, die Schlußgenehmigung für den Schnellen Brüter in Kalkar trotz der Risiken zu erteilen. In Gorleben das gleiche Bild: keine Rede von Besinnung nach dem Unfall, der ein Menschenleben kostete. Die Union weiß, daß ihr Atomkonzept von der Enlagerung abhängt und sie zieht es eiskalt durch. Wir dürfen uns auch hier keinen Sand in die Augen streuen lassen. - Viel redet Geißler von Freiheit. Aber täuschen wir uns nicht. Sein liberales Herumgerede bezieht sich auf die Freiheit der Unternehmer und sonst gar nichts. Die Freiheit der Andersdenkenden kommt in der Geißlerschen Taktik nicht vor. Wir erleben vielmehr, wie an den demokratischen Rechten weiter herummanipuliert wird: Vermummungsverbot, die Abstrafung von Sitzblockaden als Nötigung, die Richterschelte des Bundeshauptes, der die Mutlanger Demonstranten versuchte, in die Terroristenecke zu definieren. Und natürlich die Berufsverbote, die in CDU/ CSU–regierten Ländern munter weiter exekutiert werden. Ein Engagement hier stände Herrn Geißler nicht schlecht zu Gesicht. Aber in diesen Zusammenhängen kommt er nicht vor. - Ein letztes Beispiel: Geißler drückt sigenannte weiche Themen in die Öffentlichkeit. Nur, wenn man dahinterschaut, wenn man nach der politischen Umsetzung sucht, dann ist nichts zu finden. Ein Beleg dafür ist die von ihm vielbeschworene und per CDU–Parteitag in die Medien katapultierte Förderung von Frauen. Ein Blick auf die Zusammensetzung der Landtagsfraktionen und der CDU/CSU–Bundestagsfraktion genügt, um Rita Süßmuth als allein dastehende Alibifrau zu erkennen. Mit anderen Worten: Lassen wir uns von Geißler nicht irritieren. Er täuscht links an. Aber darauf hereinzufallen brauchen wir nicht.
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