„Veränderungen müssen im Dorf beginnen“

■ Ein Besuch bei der hier fast unbekannten äthiopischen Guerillabewegung EPRP / Die Organisation hat aus früheren Fehlern gelernt und sich im Westen Äthiopiens feste Einflußzonen geschaffen / Die Bauern begrüßen den pragmatischen Ansatz der neuen Regierung / Sozialismus ist zum Reizwort geworden

Von Mathias Schmale

Gespenstische Ruhe herrscht in dem kleinen Bauerndorf in der westäthiopischen Provinz Gondar. Nur gelegentlich wird die angespannte Stille durch krähende Hähne und gackernde Hühner, die nach Nahrung suchen, durchbrochen. Ein paar Schritte außerhalb des Dorfes hängen in den Bäumen einfache Bettgestelle und aus Schilf und Bambus geflochtene Körbe, in denen normalerweise Nahrung aufbewahrt wird. Vor kurzem noch rannten kleine Kinder kreischend zwischen den jetzt sorgfältig verschlossenen Hütten hin und her, und Frauen konnten beim Kochen beobachtet werden. Nun ist von den spielenden Kindern nichts zu sehen, ist von den gleichmäßig aufeinanderreibenden Steinen, mit denen die Frauen das Sorghum zermahlen, nichts zu hören. Ein paar Kilometer weiter bewegt sich eine lange Menschenkette langsam über den steinigen Weg. Vor allem den Älteren und den Kindern steht die Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Die Frauen haben ihre Kopftöpfe und ein paar Nahrungsmittel in große Tücher eingewickelt und tragen diese auf dem Rücken mit sich. Sie alle sind auf der Flucht vor den Soldaten des Militärregimes in Addis Abeba. Die Männer erklären, daß sie ihre Familien in Sicherheit bringen, und dann zurückkehren werden, um zu kämpfen. „Dieses Schauspiel wiederholt sich jedes Jahr“, sagt ein Bauer lächelnd. „Jedes Jahr versuchen die Soldaten des DERG (Komitee der Streitkräfte) unsere Regierung zu zerstören.“ Mit „unserer Regierung“ meint der Bauer die Revolutionäre Partei des äthiopischen Volkes (EPRP = Ethiopian Peoples Revolutionary Party). Seit mehr als fünf Jahren kontrolliert die EPRP das Gebiet, in dem das Dorf der Bauern liegt. In diesen Jahren hat sich der materielle Lebensstandard leicht verbessert. Gegen Zwangsrekrutierung und Umsiedlung Im Gegensatz zu früher gibt es genug zu essen. „Aber das ist für uns nicht das Wichtigste,“ sagen die Bauern. „Selbst wenn es uns schlechter gehen würde, würden wir hierbleiben, denn hier wird endlich unsere Freiheit und die Menschenwürde respektiert.“ Die Bauern erläutern, was sie unter Freiheit verstehen: Sie werden nicht mehr gezwungen, Beiträge, die ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten übersteigen, an die staatlich kontrollierten Bauernvereinigungen zu zahlen. In den vom DERG kontrollierten Gebieten muß die Landbevölkerung oft ihren geringen Besitz, zum Beispiel Vieh, verkaufen, um die Zwangsbeiträge leisten zu können. Der geforderte Obolus erhöht sich von Jahr zu Jahr. „Der DERG raubt sogar unsere Kinder“, sagen die Bauern verbittert. Sie spielen damit auf die Zwangsrekrutierung junger Männer für das Militär der Zentralregierung an. Die EPRP nähme ihnen ihre Kinder nicht weg, unterstreichen die Bauern. „Wenn unsere Söhne für die EPRP kämpfen wollen, dann tun sie das aus eigem Willen und freier Entscheidung.“ Auch versucht die EPRP nicht, sie vom „Land ihrer Väter“ zu vertreiben und irgendwo gegen ihren Willen mit fremden Menschen auf engem Raum wieder anzusiedeln. Voller Verachtung und Empörung sprechen viele Äthiopier in den EPRP–kontrollierten Gebieten über ds umstrittene Verdorfungsprogramm der Zentralregierung. Sprecher der EPRP betonen, daß gegen dieses Programm prinzipiell nichts einzuwenden sei. Es sei durchaus sinnvoll, weit auseinanderliegende Hütten und Höfe in kleineren Dörfern zusammenzulegen, um so die Landbevölkerung einfacher mit Gütern wie Strom und Wasser versorgen zu können. Die entscheidende Kritik richtet sich gegen die Planung und Art der Durchführung. Die einfachen Bauern haben eine sehr enge, fast mystische Beziehung zu dem Boden, auf dem ihre Familien seit Jahrzehnten leben. In dem die äthiopischen Militärmachthaber diese Bindungen gewaltsam durchbrechen, begehen sie ein Verbrechen an den Menschen, sagen die Vertreter der EPRP. Ein Verdorfungsprogramm könne nur erfolgreich druchgeführt werden, wenn der erste Schritt aus mühevoller Überzeugungs– und Bewußtseinsarbeit besteht. Viele Äthiopier sehen als letzte Möglichkeit, dem Verdorfungsprogramm zu entgehen, nur noch die Flucht in von der Guerilla kontrollierte Regionen. An manchen Orten kommen dort bis zu 20 Fa milien tätlich an, in der Hoffnung, dort eine neue, friedliche Existenz aufbauen zu können. Fehler der Vergangenheit Während der Protest– und Streikbewegung 1973/74, oft als „äthiopische Revolution“ bezeichnet, wurde die EPRP zu einer der stärksten politischen Kräfte im Land. Die Partei wurde von breiten Teilen der Intellektuellen unterstützt und forderte nach der Absetzung von Kaiser Haile Selasie eine sofortige Demokratisierung und die Einsetzung einer Zivilregierung. Mitte der siebziger Jahre, in der Zeit des sogenannten „roten Terrors“, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Militärs und oppositionellen Gruppen, in deren Verlauf die landesweite Organisation der EPRP fast völlig zerschlagen wurde. Viele ihrer Mitglieder wurden umgebracht, und die meisten Überlebenden gingen ins politische Exil. „Obwohl wir den Terror der Militärs und anderer Gruppen nicht provoziert haben, müssen wir zugeben, daß wir schwere Fehler gemacht haben“, sagt Mersha, ein Sprecher der EPRP. Vor allem der bewaffnete Widerstand in den Städten sei viel zu breit angelegt und viel zu lange durchgeführt worden. Die EPRP habe es nicht geschafft, ihren Mitgliedern klarzumachen, daß angesichts der Tatsache, daß mehr als 70 Prozent der Bevölkerung auf dem Land lebt, der bewaffnete Kampf in den Städten nur begrenzt sein kann. „Wirkliche Veränderungen können nur durch einen langen Entwicklungsprozeß und Kampf in ländlichen Gebieten herbeigeführt werden“, sagt Mersha. Es fällt ihm sichtbar schwer, über diese Zeit und die Fehler der Organisationen zu reden. Anfang der achtziger Jahre zogen sich die Überbleibsel der EPRP in abgelegene ländliche Regionen der westäthiopischen Provinzen Gondar und Gojam zurück. Seit etwa vier Jarhen hat die EPRP dort ihre Position konsolidiert. Sie kontrolliert ein Gebiet, das sich von der sudanesischen Grenze bis zum Tana–See und mehrere hundert Kilometer nördlich und südlich des Dinder–Flusses, der Grenze zwischen Gondar und Gojan, erstreckt. Ziel der EPRP ist es heute, eine Gesellschaft in Äthiopien aufzubauen, in der die Rechte aller 70 ethnischen Gruppierungen respektiert werden. In den befreiten Gebieten der EPRP wohnen mindesten sieben verschiedene ethnische Minderheiten, so zum Beispiel die Gumz, die Bete Israeli (besser bekannt als Falasha oder äthiopische Juden), die Agev und Shinasha. Es sind vergessene, seit Jahren von der Außenwelt abgeschnittene Volksgruppen, von deren Existenz nicht einmal alle Äthiopier etwas wissen. Brisante Nationalitätenfrage Die Gumz zum Beispiel haben eine lange Geschichte der Verfolgung hinter sich. Sie sind im Lauf der letzten Jahrzehnte von den jeweiligen äthiopischen Machthabern aus dem Hochland im Zentrum des Landes in das Tiefland an der Grenze zum Sudan getrieben worden. Ihre jetzige Regierung, die EPRP, sei die erste, die sie nicht vertreibe, sondern versuche, ihnen zu helfen, sagen die Gumz– Männer, die sich im Schatten eines großen Baumes zum Gespräch mit dem ausländischen Besucher eingefunden haben. „Die neue Regierung hat uns gelehrt, was Gleichberechtigung bedeutet, vor allem Gleichberechtigung mit den Amharas, die wir bisher nur als Herrscher erlebt haben“, betont einer der älteren Gumz–Männer. Die Männer sprechen auch vorsichtige Kritik an der EPRP aus. „Sie tun für uns, was sie können. Allerdings haben sie uns bisher keine Schule gebaut, obwohl sie das für die Amharas und Agew längst gemacht haben.“ Auf die Frage, warum sie Schulen für ihre Kinder brauchen, sagt einer, daß sie durch den Kontakt mit gebildeten Leuten gelernt haben, welche Vorteile Bildung mit sich bringt. Ein anderer fügt hinzu: „Wenn ich lesen und schreiben könnte, könnte ich zum Beispiel Anträge an die Regierung besser begründen.“ Ein EPRP– Mitglied erklärt später, das Hauptproblem sei, ausgebildete Lehrer zu finden, die die Sprache der Gumz sprechen, oder gar selber Gumz sind. Auch Ausbildungsmaterial sei nur in amharischer Sprache verfügbar - ein Anzeichen für die lange Benachteiligung äthiopischer Minderheiten. Die Gumz bewirtschaften ihre kleinen Felder mühevoll im Knien mit selbsthergestellten primitiven Handgeräten. Letztes Jahr versuchte die EPRP ihnen die Vorteile des Pflügens mit Ochsen zu zeigen. Die Gumz–Männer zeigen sich beeindruckt von der „neuen Methode“. Allerdings habe die Sache einen Haken, denn „wir haben kein Geld, um uns Ochsen zu kaufen“. An diesem Beispiel könne gezeigt werden, wie jegliche Form von Entwicklung an eine allgemeine Hebung der materiellen Lebensbedingungen gebunden ist, sagt ein Mitglied der EPRP. Die EPRP hilft den Gumz wie auch den anderen Völkern beim Aufbau von bäuerlichen Genossenschaften, aber deren Vorsitzende werden, anders als in den DERP kontrollierten Gebieten nicht von oben eingesetzt, sondern von den Dorfbewohnern selbst gewählt. Schwierigkeiten mit dem Etikett „Sozialismus“ Die Betonung der politischen Selbstverwaltung durch die Bauern und die Konzentration von Entscheidungsgewalt im Dorf ist Teil des politischen Programms der EPRP. Auf die Frage, ob ihr politisches Programm mit einem ideologischen Etikett verbunden werden kann, antworten EPRP– Sprecher, daß sie eine sozialistische Gesellschaft aufbauen wollen. Der Begriff „Sozialismus“ habe jedoch durch die Politik der Regierung in Addis Abeba einen schalen Beigeschmack erhalten. Wichtiger als die Verordnung einer Ideologie von oben sei es, in enger Zusammenarbeit mit der ländliche Bevölkerung eine neue, demokratische Gesellschaft aufzubauen. Die Bauern haben offenbar an einer kollektiven Wirtschaftsweise kein Interesse. Als Begründung geben sie an, daß sie während der Zeit der DERG Herrschaft in ihrem Gebiet sehr negative Erfahrungen damit gemacht hätten. Ein ranghohes EPRP–Mitglied allerdings sieht kollektive Wirtschaftsformen als integralen Bestandteil einer sozialistischen Politik an. Es habe aber überhaupt keinen Zweck, den Bauern dies aufzuzwingen. Die schlimmen Erfahrungen mit der Zwangskollektivierung der Militärregierung seien noch sehr lebendig. Statt dessen müßten die Bauern durch positive Beispiele von den Vorteilen einer kollektiven Wirtschaftsform, wie zum Beispiel sozialistischen Genossenschaften, überzeugt werden. Eine Beurteilung der militärischen Stärke der EPRP ist angesichts spärlicher Informationen schwierig. Wie andere äthiopische Befreiungsbewegungen lehnt die EPRP es ab, genaue Angaben über die Größe ihrer Armee zu machen. Obwohl die Zahl der EPRP Kämpfer in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen ist, da vor allem junge Bewohner ländlicher Regionen den Kampf aufnehmen, sind sie dem Militär der Zentralregierung zahlenmäßig weit unterlegen. Ein großer Vorteil für die EPRP ist im Flachland die Unwegsamkeit des Geländes. Durch den Grad an Mobilität ihrer Kämpfer ist die EPRP in der Lage, einen schlagkräftigen Guerillakrieg zu führen. Sie bringt das Militär–Regime zunehmend in Bedrängnis. Der eingangs erwähnte Angriff im April dieses Jahres ist bereits die sechste Großoffensive gegen die EPRP, seit diese in Gondar und Gojam aktiv ist. Erstmals wurden gegen sie Kampfhubschrauber eingesetzt und Dörfer bombardiert. Sprecher der EPRP sehen realistisch, daß sie, trotz des regen Zulaufs, nicht in der Lage sind, daß Regime in Addis Abeba allein zu stürzen. Ebenso wenig wie die anderen Befreiungsbewegungen, etwa die der Eritreer und Tigrays im Norden und der Oromos im Süden. Doch die 1981 von der EPRP vorgeschlagene Bildung einer Einheitsfront scheiterte bislang daran, daß sich kein Konsens über die Minimalforderungen finden läßt. So will die EPRP versuchen, das von ihr kontrollierte befreite Gebiet zu erweitern. Sie hat sich auf einen langen Befreiungskampf eingerichtet...