Wirtschaftsförderung mit massivem Charme

■ An der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung kommt keiner vorbei / Ansiedlungspolitik und Wirtschaftswerbung wurde in der Hansestadt aus der senatseigenen Wirtschaftsbehörde ausgegliedert / Akquisitionserfolge der Newcomer bringen weltweite neue Connections

„Den Fielmann, den haben wir ooch jehalten.“ Immer, wenn Geschäftsführer Claus Müller das Beispiel des abwanderungsbereiten größten Hamburger Brillenhändlers einflechten kann, den er in letzter Minute hat bremsen können, huscht ein Lächeln über seine Züge. Dann wird erst einmal wieder das Weinglas gehoben, als gelte es, auf die erfolgreiche Arbeit der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF) anzustoßen, der er seit zwei Jahren als vergnüglich plaudernder Geschäftsführer vorsteht. Der achtundvierzigjährige gebürtige Berliner redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, stets mit einem leichten Grinsen um die Mundwinkel. Zuletzt war der Diplom–Ingenieur bei dem Pleite– Unternehmen AEG–Telefunken. Am 1. Juli 1985 sattelte er auf ein anderes Pleite–Unternehmen um: Er und seine 19 Mitarbeiter in der HWF verkauften seitdem den „Standort Hamburg“, vorzugsweise in Skandinavien, Nordamerika und dem Fernen Osten. Müllers HWF, die bundesweit als Modell gilt, wurde 1984 gegründet, als die Wirtschaftsbehörde angesichts abwandernder Firmen und der schweren wirtschaftlichen Strukturkrise der Hafenstadt überfordert war. Mit ihrer Hilfe wollen Wirtschaft und Politik in der Hansestadt den schon laufenden Strukturwandel beschleunigen. An die Stelle der zunehmend ausgelaugten schwerindustriellen– und warenproduzierenden Gewerbe, in denen in den letzten 25 Jahren 150.000 Arbeitsplätze verlorengingen, will die HWF als privatwirtschaftlicher Katalysator neue Technologien ansiedeln, die den maroden Standort wieder attraktiv machen sollen. Sie sieht sich als „kenntnisreicher Partner“ interessierter Firmen, berät und unterstützt beim Anzapfen staatlicher Geldquellen, weist den Weg durch den Behördendschungel, hilft beim Finden geeigneter Ansiedlungsflächen und der Vermittlung passender Firmenkontakte. Vier Millionen Mark bekommt sie dafür jährlich aus dem Topf der Wirtschaftsbehörde, arbeitet aber privatwirtschaftlich und ist als „GmbH“ mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet. „Wir sind Endverhandler“, macht Müller seine Bedeutung gegenüber den anzusiedelnden Firmen und der Wirtschaftsbehörde klar. Gesellschafter sind die Stadt, die Kammern als Vertreter der hanseatischen Wirtschaft und führende Banken. Gegenüber der Wirtschaftsbehörde ist die HWF auf anderthalb Stockwerken in einem der Mundsburg–Bürotürme in Uhlenhorst ausstattungsmäßig ein rechter Zwerg, vom Selbstbewußtsein aber ein Riese: „An uns kommt keiner vorbei“, heißt es schon mal in der HWF, oder auch - hinter vorgehaltener Hand: „Sie glauben ja gar nicht, wie bürokratisch die Wirtschaftsbehörde ist. Die haben ja immer noch ihre antikapitalistische Ideologie.“ Mittlerweile sei aber die Zusammenarbeit gut geworden und nach einigem Murren findet man auch am neuen Wirtschaftssenator Wilhelm Rahlfs (FDP) nichts mehr auszusetzen. „Wir haben zwei große Aufgaben“, führt Claus Müller aus. „Einmal, und das bestimmte meine Arbeit im ersten Jahr, ging es darum, abwanderungswillige Firmen in Hamburg zu halten.“ Die Fleischtöpfe der steuerbegünstigten Zonenrandförderung, die gleich hinter der Stadtgrenze stehen und deren Wohlgeruch schon mal in die mit Firmen dichtbesiedelte, mit Industrieflächen aber knappe Hansestadt lockend herüberzieht, machen ihm zu schaffen. „Wenn ich höre, eine Firma will abwandern, dann rede ich erstmal mit dem Chef und mache ihm klar, daß er im Umland keine qualifizierten Mitarbeiter findet und daß seine Produktion durch den Umzug mindestens für ein Jahr schwer leidet. Das wiegt dann schon oft die finanziellen Vorteile durch Zonenrandförderung auf. Außerdem kriegt er hochkarätige Fachleute eher in der Großstadt, weil die das kulturelle Flair von Theater und Oper schätzen.“ Auf diese Weise konnten neben Optiker Fielmann auch die Füllerfabrik Montblanc und das Pumpenwerk Pleuger gehalten werden. Von den finanziellen Anrei zen allerdings, die die Stadt diesen unsicheren Kantonisten als „Überzeugungshilfe“ bot, ist nicht die Rede. Mehr und mehr tritt aber die „zweite große Aufgabe“ in den Vordergrund: das Anlocken neuer Firmen aus den gewählten Schwerpunktländern. Gerade ist Müller von einem lukrativen Fischfang zurückgekommen. In Zukunft wird sich die Internationale Taiwanesische Handelsorganisation an der Elbe ansiedeln, ein Verband, der etwa 4.000 nationalchinesische Mitgliedsfirmen aller Branchen repräsentiert. Außerdem werden drei weitere taiwanesische Unternehmen ihre Pforten in Hamburg öffnen, dreißig weitere haben ihr konkretes Interesse an einer Vertriebsniederlassung bekundet. „Wir machen dort immer wieder klar, daß Hamburg nur das Tor zu Europa sein kann“, wirbt Claus Müller. „Dabei kann die Stadt gerade für die nicht so kapitalstarken mittleren Unternehmen einen Teil der Infrastruktur zur Verfügung stellen.“ Gefragt bei der Neuansiedlung sind neben den großen Konzernen, die allerdings „eh wissen, was sie wollen“ (Müller), mittlere Betriebe „zukunftsorientierter“ Branchen, wie es im Jargon heißt. Neue Technologie also, „Maschinenbau, Feinmechanik und Elektroindustrie als bedeutende Wachstumsträger im produzierenden Bereich“ und „Informations– und Kommunikationstechnik, Software und Beratung“ im Dienstleistungsbereich. Stolz verweist man auf die Ansiedlung von Laserfabriken und auf den neuen Schwerpunkt Luftfahrttechnik, auf Hamburg als Zentrum hochautomatisierter Medizintechnik, gefragter Umwelttechnik und der Biotechnologie. In einer Bilanz nach zwei Jahren rechnete die HWF vor, „229 Wirtschaftsprojekten mit einem Investitionsvolumen von 600 Millionen Mark erfolgreich zur Seite gestanden“ und damit „2.800 neue Beschäftigungsplätze“ eingefahren zu haben. Die HWF kennt die Welt. In neun wichtigen Wirtschaftsplätzen dieser Erde hat sie ihre Agenten. Ob sie aber Hamburg kennt, muß bezweifelt werden. In ihrer frisch fertiggestellten Hochglanzbroschüre preist sie „Hamburgs saubere Umgebung“ und die „frische Luft“, sie preist die hamburgische Oper als so gut wie die „Mailänder Scala“ und die „Met“ in New York, und behauptet, jeder Kellner oder Taxifahrer spreche „selbstverständlich“ Englisch. Völlig Hamburg–fremd mutet auch die Einschätzung an, Hamburg habe die Schiffbaukrise „zügig überwunden“. Doch Claus Müller ist ein positiver Mensch. Sein Ziel ist es, die Welt „hamburg–minded“ zu machen, dafür muß man die Sache nur richtig „handlen“. In diesem Sinne ist ihm jedes Argument recht. So werden in der bunten Broschüre „Unternehmen Hamburg“ die heranzulockenden Fachkräfte gar mit dem Argument umworben, zum positiven „Flair dieser Weltstadt“ gehöre „die alternative Szene“. Die Hafenstraße grüßt den Rest der Welt.