: Zwei Umweltminister unter Prozeßdampf
■ Wie Klaus Töpfer und Werner Remmers versuchten, der Bevölkerung in Lingen die Molke–Entseuchung näherzubringen / Selbst bei der CDU–Basis sind die beiden CDU–Politiker mit ihrem Vorhaben gründlich gescheitert
Aus Lingen Jürgen Voges
Lärmende Pfiffe, Buh–Rufe, empörte Beschimpfungen - die beiden Umweltminister aus Bonn und Hannover, Klaus Töpfer und Werner Remmers, die vor 1.000 Bürgern die Molke–Entseuchung im stillgelegten AKW begründen und verteidigen müssen, haben den großen Saal des Restaurants Wilhelmshöhe in Lingen betreten. Als sie die von blauen Samtvorhängen umrahmte Bühne erreichen, beginnt in der Mitte des Saales eine blond gelockte Frau mittleren Alters zu singen: „Töpfer wir kommen - du hast dich schlecht benommen.“ Andere fallen in den Refrain ein, schließlich begleitet fast der ganze Saal die Melodie mit rhythmischem Klatschen. Nur vorne rechts sitzt eine Gruppe von Anhängern der beiden CDU–Minister. „Das nützt alles nichts, wir müssen irgendwie zur Diskussion kommen“, hebt über Mikrofon der greisenhaften Lingener Oberbürgermeister Hans Klukkert an. „Heinrich Lübke aus dem Emsland“, tönt es aus dem Publikum. Links und rechts neben dem Oberbürgermeister sitzen seine beiden Stellvertreterinnen, auch CDU, in der Mitte der Stadtdirektor und links von den Umweltministern noch der hannoversche Molkereiwissenschaftler Franz Roiner, der das Entseuchungsverfahren entwickelt hat. Umweltminister Werner Remmers, der in Lingen zu Hause ist und hier seinen sicheren CDU–Wahlkreis hat, geht über das Mikrophon - schon bald mit rotem Kopf - das Publikum dröhnend laut an: „Weder ich noch Klaus Töpfer tragen die Verantwortung für den Ablauf der Ereignisse mit der Molke.“ Tschernobyl sei die erste Katastrophe gewesen, der Umgang mit der Molke die zweite, gesteht Remmers ein. Aber durch Vergangenheitsbewältigung kriege man die Molke nicht weg, nur durch Handeln. Remmers ist für die Entseuchung im alten Maschinenhaus des stillgelegten AKWs Lingen, „auch um zu beweisen, daß die Politik in unserem Staate mit solchen Problemen fertig wird“. Ein Höllenlärm, Empörung: „Eine Diktatur ist das hier“, und auch Spott zeigen die Reaktionen des Publikums: „Jetzt hat er in vier Sätzen fünfmal gesagt, daß er Umweltminister sein will.“ Auch Bundesumweltminister Klaus Töpfer ergeht es bei seinem ersten Statement nicht besser. Auch er bekennt sich unschuldig zu dem Molke–Desaster: „Ein Problem, das ich vorgefunden und nicht verursacht habe.“ Aber für Lingen als Standort der Molkeentseuchung würden eben objektive, nachprüfbare Vorteile sprechen. Nur Lingen I habe als einziges stillgelegtes AKW ein nicht kontaminiertes Maschinenhaus, dort stünde „Prozeßdampf“ zur Verfügung, es gäbe dort bereits Ionentauscher, die man früher zur Entsalzung des Wasser für den Sekundärkreislauf benutzt habe und die jetzt für die Entseuchung eingesetzt werden könnten, und „ein Gleisanschluß ist schon vorhanden“. Doch die Bürger im Saal wollen nicht einsehen, „daß sich in der ganzen Bundesrepublik keine anderen Hallen mit Gleisanschluß finden lassen“. Bis kurz vor Mitternacht und bis zur gegenseitigen Erschöpfung dauert der fünfstündige Schlagabtausch zwischen Podium und Publikum, der über die Glaubwürdigkeit der CDU–Politik, die Sicherheit der Anlage und auch schon um ihren Wiederabriß geführt wird. „Ich kann nicht nur Radau machen, wie ich es noch als CDU– Mitglied gelernt habe“, tritt da die Frau, die Töpfer singend begrüßt hatte, an eines der Saalmikrophone und stellt sich als Angela Kröger, Mitglied der Bürgerinitiative gegen das AKW Lingen II vor. Um ihre Schultern hat sie ein Transparent „Zur Hölle mit der Molke“ geschlungen. „Wir sehen nicht ein, daß die harmlose Lingener Bevölkerung etwas entsorgen soll, wofür sie nicht verantwortlich ist“, sagt sie, „und wir glauben nicht an einen Wiederabriß der Entseuchungsanlage nach zwei Jahren.“ Auch Fritz Borggraefe, Betriebsrat der Lingener Stahlfirma Benler, spricht dem Publikum aus der Seele, als er verlangt: „Wer den Dreck macht, soll ihn auch wegbringen. Ihr hättet mal Franz Josef Strauß sagen sollen, er soll seinen Mist nach Bayern zurücknehmen, aber der läßt sich sowas nicht bieten.“ Vor allem „die Glaubwürdigkeit der beiden Minister“ attackieren immer wieder die SPD–Kommunalpolitiker, die sich zahlreich zu Wort melden. Remmers und der damalige Bundesumweltminister Wallmann hatten beim Transport von 3.000 der 5.000 Tonnen bundeseigener Strahlenmolke auf das Bundeswehrgelände bei Meppen im Januar dieses Jahres versi chert, daß diese höchstens drei Monate im Emsland bleiben werde. Als Töpfer dann in Bonn erstmals über seine Lingener Entseuchungspläne informierte, hatte er dazu nur Kommunalpolitiker eingeladen und die Vertreter der anderen Kreistags– und Ratsfraktionen ausgeschlossen. Der wahre Grund für die Entseuchung der Molke in Lingen, so der SPD– Stadtrat Michael Fuest, sei der Gehorsam, den die Lingener CDU– Politiker ihrem Vormann Werner Remmers entgegenbrächten. Allerdings sei sich auch die emsländische SPD in der Molkefrage nicht ganz einig. Während die Lingener Ratsfraktion und der SPD– Unterbezirk die Entseuchung im AKW entschieden ablehnen, hat die SPD–Kreistagsfraktion in der Debatte über Töpfers Pläne Zusammenarbeit bei der Beseitigung der Molke angeboten. „Im Kreistag sitzen eben die Leute aus Meppen, und die wollen in erster Linie, daß mit den 3.000 Tonnen das Problem bei ihnen verschwindet“, erklärt der zweite Vorsitzende der Lingener SPD dieses Verhalten seiner Genossen. Auch die CDU–Kommunalpolitiker können die Pläne ihrer beiden Minister nur noch resignierend vertreten. „Wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen“, sagt der CDU–Kreistagsvorsitzende Hövelmann in der Bürgerversammlung, „die Molke steht im Emsland, und es gibt auf absehbare Zeit keine Chance, sie wegzubekommen.“ Daher müsse man sie hier auch gleich entsorgen. Der CDU–Oberstadtdirektor Karl–Heinz Vehring versichert dann, er habe schon verhindert, daß in Lingen noch eine extra Halle für die Lagerung von Molke gebaut werde.
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