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I N T E R V I E W „Wir wollen nicht wackeln, aber...“

■ Friedhelm Farthmann, SPD–Fraktionsvorsitzender im Düsseldorfer Landtag: Schneller Brüter und THTR sind nicht miteinander zu vergleichen

taz: Herr Farthmann, in der letzten Woche hat Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen die Prognos–Studie über eine Energieversorgung ohne Kernkraft vorgestellt und gleichzeitig erklärt, daß ein Ausstieg in NRW weder rechtlich möglich, noch politisch sinnvoll sei. Ihr Kommentar? Friedhelm Farthmann: Zunächst einmal ist das Ergebnis der Prognos–Studie für uns Sozialdemokraten eine hervorragende Sache, denn die Studie bestätigt eindeutig, daß man in einem realistischen Zeitraum aus der Kernenergie aussteigen kann, ohne eine sprunghafte Verteuerung des Strompreises zu bekommen, und ohne daß Arbeitsplatzverluste eintreten. Die Äußerungen von Herrn Jochimsen, wenn sie so gefallen sind, kann ich in einem Punkt bestätigen: Wir sind auch in NRW an Recht und Gesetz gebunden und können die Frage der Kernenergienutzung erst dann entscheiden, wenn es uns möglich ist, das Bundesatomgesetz in unserem Sinne zu ändern. Dazu brauchen wir im Bund die Mehrheit. Da ist nicht dran zu rütteln...... ..Ausstieg politisch nicht sinnvoll? Daß diese Bemerkung so gemeint war, wie sie jetzt interpretiert wird, glaube ich nicht. Es gibt in der Regierung und in der nordrhein–westfälischen Partei keine Meinungsverschiedenheiten über die Notwendigkeit des Ausstiegs aus der Kernenergie. Wir wollen nicht wackeln und nicht zögern, sondern den Nürnberger Parteitagsbeschluß erfüllen und so schnell wie möglich aus der Nutzung der Kernenergie aussteigen. Die SPD–Landtagsfraktion hat vor einem Jahr von der Landesregierung die Erstellung eines Stufenplans zum Ausstieg aus der Kernenergie verlangt. Herr Jochimsen hält das für unmöglich und den Interessen des Landes nicht dienlich. Der Landtag erwartet einen solchen Plan und ich bin der Meinung, daß eine solches Szenario für die politische Diskussion sinnvoll ist, um der Öffentlichkeit ganz konkret klar zu machen, wann, welche Schritte aus der Kernenergie getan werden können. Das Prognos–Gutachten ist ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung, aber die Konkretisierung muß noch erfolgen. In der NRW–SPD gibt es derzeit fast täglich unterschiedliche Stellungnahmen zum Atomausstieg. Sie selbst haben vor ein paar Wochen in bezug auf den THTR in Hamm vom „point of no return“ gesprochen, der durch die vorläufige Betriebsgenehmigung überschritten worden sei. Ich habe immer gesagt, daß zum Ausstieg alle Kernenergielinien gehören, auch die Hochtemperaturreaktorlinie. Gleichzeitig habe ich immer davor gewarnt, den Leuten etwas zu verkünden, was wir nicht einhalten können. Die genehmigten Anlagen können wir nur dann abschalten, wenn neue Sicherheitsbedenken, neue Risiken auftauchen. Für den THTR kann ich solche Risiken heute nicht erkennen. Sollte die Sicherheitsüberprüfung aber etwas anderes ergeben, müssen natürlich sofort Konsequenzen gezogen werden, bis hin zur Schließung. Die Landesregierung hat eine zehnköpfige Kommission zur Überprüfung der Sicherheit bei den kerntechnischen Anlagen eingesetzt. Nur einer der zehn ist ein ausgewiesener Atomkraftkritiker. Das Ergebnis kann man sich ausmalen. Ich muß normalerweise davon ausgehen, daß Wissenschaftler nach bestem Wissen und Gewissen ihre Gutachten erstellen und sich nur der wissenschaftlichen Wahrheit verpflichtet fühlen. Da vertraue ich auch der vom Wirtschaftsminister berufenen Kommission. Das Gefährdungspotential ist doch auch unter Wissenschaftlern im Streit. Nicht nur beim THTR, sondern auch beim Schnellen Brüter in Kalkar, den Sie verhindern wollen. Das ist überhaupt nicht zu vergleichen. Der Schnelle Brüter ist nach Meinung aller Experten die Linie mit der geringsten inhärenten Sicherheit. In bezug auf den Brüter in Kalkar, für den Sie als ehemaliger zuständiger Minister elf Teilerrichtungsgenehmigungen erteilt haben, werden heute von der Landesregierung Sicherheitsbedenken, z.B. den Bethe–Tait–Störfall, aufgegriffen, die auch schon vor zehn Jahren existierten, damals aber nicht als relevant eingestuft worden sind. Dieser Vorgang scheint sich beim THTR zu wiederholen. Die Einwände, etwa des Öko–Instituts, werden nicht ernst genommen. Ich glaube, daß Sie da Äpfel mit Birnen vergleichen. Zuerst einmal: Auch beim Schnellen Brüter werden die Tatsachen teilweise falsch dargestellt. Auch in Ihrer Zeitung ist mir in einem Kommentar dazu vor einiger Zeit bitteres Unrecht angetan worden. Ich habe schon vor zehn Jahren, nachzulesen u.a. in einem Spiegel–Interview, gesagt, daß der Brüter nicht in Betrieb gehen dürfe. Von der sozialliberalen Bundesregierung sind wir damals aber bedrängt worden, ihn zu Ende zu bauen, um die Optionen offen zu halten. Ich habe dann loyal gesagt, gut, bauen wir ihn zu Ende, aber damit darf kein Präjudiz für die endgültige Betriebsgenehmigung verbunden sein. Man darf doch jetzt nicht die Frage der Teilerrichtungsgenehmigungen mit der Betriebsgenehmigung vermischen. In bezug auf den THTR hat die Landesregierung immer gesagt, wir wollen ihn zu Ende bauen und halten ihn für eine relativ sichere Linie Die Politiker haltens mit der Relativitätstheorie wie die Physiker, sicher ist sicher... d.K.. Deshalb haben wir auch die vorläufige Betriebsgenehmigung erteilt. Das war vor Tschernobyl. Ob wir sie nach Tschernobyl noch hätten erteilen können oder wollen, ist eine zweite Frage. Die endgültige Betriebsgenehmigung kann jetzt jedenfalls nur dann noch verweigert werden, wenn während des Probelaufs gravierende Bedenken aufträten. Nach dem Atomgesetz dürfen Teilerrichtungsgenehmigungen nur dann erteilt werden, wenn zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt keine grundsätzlichen Bedenken gegen die endgültige Betriebsgenehmigung bestehen. Das war die Situation beim Schnellen Brüter. Nein, dem widerspreche ich ganz entschieden, denn wir haben damals ausdrücklich unseren Vorbehalt angemeldet, und ich habe gegenüber der sozialliberalen Bundesregierung die Erteilung der Betriebsgenehmigung als höchst unwahrscheinlich charakterisiert. Das Gespräch führte Walter Jakobs

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