piwik no script img

Jetzt rollt der Rubel ganz offiziell

■ Dnjepr - der erste sowjetische Verein mit Profi–Fußballern / Kapitalanteile bei Fabriken und Kolchosen

Aus Moskau Alice Meyer

Wie einst das Ruhrgebiet in Deutschland, so schreibt heute das ukrainische Industrierevier mit dem Zentrum Dnjepropetrowsk am Dnjepr in der Sowjetunion Fußballgeschichte. Vor einigen Tagen wurde dort der erste ProfiFußballclub der UdSSR gegründet. Der Verein unter der Bezeichnung „Experimenteller Fußballclub Dnjepr“ hat als Sponsor das „Südliche Werk für Maschinenbau Leonid Iljitsch Breschnjew“, ist aber rechtlich und wirtschaftlich unabhängig und soll seine Tätigkeit nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung aufziehen. Wie der ukrainische Korrespondent der Regierungszeitung „Iswestija“, Jakow Nowak, vor Ort erfuhr, halten nicht nur die genannte Maschinenfabrik, sondern auch eine Reihe anderer Betriebe der Region (darunter landwirtschaftliche Kolchosen und Sowchosen) Kapitalanteile an dem Verein. Das Wort „experimentell“ in dessen Firmenschild rührt nicht etwa von einer neuen originellen Variante in der Spielanlage, sondern schlicht daher, daß nach einer Probezeit von unbekannter Dauer sämtliche Vereine der oberen Spielklassen in der UdSSR auf den Spielbetrieb mit Profis umgestellt werden sollen. Aber schon heute - das wissen Eingeweihte - „rollte der Rubel“ nicht nur in Dnjepropetrowsk. Für viele in– und ausländische Beobachter der sowjetischen Sportszene kam überraschend, daß ausgerechnet der proletarisch angehauchte Provinzclub als erster legal Berufsfußballer anheuern darf und nicht Dynamo Kiew, Dynamo Tiflis oder einer der führenden Moskauer Vereine. Fürchten die Verantwortlichen, daß der Professionalismus im Fußball in der „Erprobungsphase“ in den Metropolen außer Kontrolle geraten könnte? Jeder Dnjepr–Berufskicker schließt mit der Vereinsführung einen auf fünf Jahre befristeten Anstellungsvertag. Mit Zustim mung beider Vertragsparteien ist Verlängerung möglich. Verläßt der Spieler den Verein (wird er z.B an einen ausländischen Club verkauft, denn ein Spielertransfer an andere sowjetische Vereine auf kommerzieller Grundlage ist ja zumindest offiziell noch nicht drin), zahlt ihm Dnjepr eine einmalige Prämie in Höhe von zehn Prozent seines Gesamtverdienstes aus der Zeit der Zugehörigkeit zur 1. Mannschaft. Von der Gefahr der Insolvenz oder gar der Möglichkeit eines Bankrotts wollen die Vereinsbosse in Dnjepropetrowsk nichts wissen. Die Mannschaft, die ihre Heimspiele in der „Meteor– Kampfbahn“ der Stadt absolviert, gilt als sehr heimstark und ist ein Zuschauermagnet: Es ist nicht leicht, Karten aufzutreiben. Wie Preußen Münster nach der Währungsreform 1948 mit dem legendären Hunderttausendmark– Sturm anfing, so könnte Dnjepr 1988 mit einem Eine–Million–Rubel–Team auf den Rasen laufen. Auf exakt diesen Betrag nämlich schätzt der Vereinsvorsitzende und „verdiente Trainer der ukrainischen sozialistischen Sowjet– Republik“, G. Shisdik, die jährlichen Bruttoeinnahmen seines Vereins in der Startphase, darunter in erster Linie Eintrittsgelder, Einnahmen aus der Stadionreklame, u.a. Aktivitäten lokaler und regionaler Unternehmen, Mitgliedsbeiträge, Erträge aus dem Verkauf von Sportartikeln und Vereinsemblemen. Die „professionelle Beziehung“ der Aktiven zum Spiel mit dem runden Leder soll durch großzügige materielle Anreize geschaffen werden. „Die Geldeinkommen und der Lebensstandard des Trainers und der Spieler hängen voll und ganz von diesen selbst ab“, erklärt der Vereinsvorstand. Die Gründung des Proficlubs in Dnjepropetrowsk war nicht einfach: Parteistellen, die örtlichen Sowjets, Gewerkschaften und Sportorganisationen mußten eingeschaltet, Juristen ud Ökonomen um Rat gefragt werden. Aber Clubchef Shisdik weiß: „Die Gründung des Vereins ist erst in der heutigen Zeit möglich geworden, jetzt, da im Lande die Perestroika der Methoden des Wirtschaftens vonstatten geht und in alle Bereiche unseres Lebens eingreift - selbstverständlich auch in den Fußball.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen