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Im „Palazzo“ der Väter

■ Von der emanzipierten Christdemokratin zur feministischen Kommunistin - Italiens Parlamentarierinnen pflegen alle ihre Widersprüche / Und alle mißtrauen Pornostar „Cicciolina“, der ungeliebten Provokation / Serie Feminismus in Italien Teil 2

Von Roberta Tatafiore

Die Zahl der Frauen im römischen Parlament hat mit den Wahlen im Sommer zum ersten Mal den historischen Sieben–Prozent–Anteil überschritten, - aber ist damit auch die Möglichkeit für die Frauen gestiegen, sich als andersartiges Subjekt der Politik zu behaupten? Das ist derzeit die Frage in Italien, und sie wirft ihrerseits eine ganze Reihe von Fragen auf. Wie werden die Frauen von den Parteien benutzt? Und umgekehrt: Gelingt es den Frauen, die Parteien unter die Interessen der Frauen zu beugen? Werden die gewählten Frauen die „Schlacht“ um die Gleichberechtigung zum gemeinsamen Ziel machen, das innerhalb des von Männern dominierten Kräftegleichgewichts und Bündnissystems erreichbar erscheint? Oder werden sie auf den eigenen, „unanständigen Unterschied“ setzen, um die männliche Anlage der Institutionen aus den Angeln zu heben? Welche Dialektik wird sich zwischen den Parlamentarierinnen und der autonomen Frauenbewegung entfalten? Italienische Feministinnen stehen einer Politik der Gleichberechtigung kritisch gegenüber: Sie nehmen für sich in Anspruch, daß Frauen nichts mit den Werten der männlichen Kultur zu tun haben, und befürworten den Aufbau einer „gemeinsamen Welt der Frauen“. Die Weiblichkeitstheoretikerinnen Adrienne Rich (USA) und Luce Irigaray (Frankreich) sind ihre Bezugspunkte. Aber kann sich diese ersehnte „gemeinsame Welt“ mit dem Beruf „Politik“ messen? Zerrt nicht dieser Beruf die Frauen, die ihn ausüben, in zahlreiche Widersprüche? Kommt zuerst die Partei, ihre Ideologie, ihre Ziele, oder kommt zuerst das eigene Frau–Sein? Die alten Fragen sind immer noch aktuell. Schauen wir uns die Antworten der Partei–Frauen an. Würde der Frau Selbst den Christdemokratinnen paßt der Feminismus jetzt in den Kram - natürlich in einer Version, die von den früher einmal subversiven Inhalten gereinigt ist, wie etwa der Betonung des Rechts auf Abtreibung. Aber die Katholikinnen können heute sehr wohl Gemeinsamkeiten mit den Feministinnen finden und etwa den menschlichen Wert der „Würde der Frau“ hervorheben. Eine Spitzenvertreterin der Democrazia Cristiana, Silvia Costa, berief sich gerade auf diese „Würde der Frau“, um die Wahl des Pornostars Ilona Staller zu brandmarken und um an eine gemeinsame weibliche Front zur Verteidigung der moralischen Werte zu appellieren: gegen Pornografie, gegen sadistische Werbung, gegen sexuelle Gewalt. In eine solche Konzeption paßt der größere Stellenwert der Frauen in der Democrazia Cristiana ausgezeichnet hinein: Die Partei will ihre Frauen als „Körper“ benutzen, um ein erfolgreicheres Konzept von Sozialpolitik zu lancieren. Allerdings basiert diese Sozialpolitik weiter auf der Familie, auf der Solidarität, auf freiwilligem sozialen Einsatz. „Weniger Staat und mehr Gesellschaft“, das wird in der Tat zum Reformkonzept des Wohlfahrtsstaats. Emanzipation und Karriere Im Lager gegenüber, bei den Sozialisten, hat in der vergangenen Legislaturperiode ein durch und durch weltlicher Umgang mit der „Frauenfrage“ triumphiert. Die Kommission für die Gleichstel lung von Frau und Mann, die auf den Willen des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Craxi zurückging, wurde als erster Schritt für die Schaffung eines sozialistisch geführten Frauen– Ministeriums angesehen. In der derzeitigen Regierung unter dem Christdemokraten Goria fehlen die politischen Voraussetzungen, um diesem Ziel näher zu kommen; und selbst die Gleichstellungskommission steht immer noch in Frage. Die Ex–Vorsitzende der Kommission, die sozialistische Senatorin Elena Marinucci, hat einen starken Charakter und einen unerschütterlichen Glauben in die Werte von Ebenbürtigkeit, Emanzipation und „Modernisierung“ der Frauen. Ihr gelang es, das Image der Kommission politisch so auszunutzen, daß damit die fehlende Entscheidungsmacht und die knappen Mittel ausgeglichen wurden. Die Marinucci hat während ihrer Amtszeit eine bemerkenswerte Anzahl von guten Forschungsarbeiten zur Lage der Frau gefördert und veröffentlicht und damit vielen feministischen Kopfarbeiterinnen einen Job verschafft. Außerdem hat sie versucht, Beziehungen zur autonomen Frauenbewegung zu knüpfen, um gemeinsam einen nationalen Aktionsplan zu entwickeln. Positive Reaktionen kamen vor allem von den organisierten Interessensvertretungen der Frauen: von den Prostituierten bis zu den Lesben, von den Hausfrauen bis zu den „Karriere–Frauen“ (carrier women). Die Beziehungen zwischen den Letztgenannten und der Kommission bekamen bald eine nachgerade privilegierte Stellung. Diese Art von weiblichem Sozialtyp ist in Italien ziemlich neu. Die carrier woman befürwortet das männliche Modell von Emanzipation, nimmt es geradezu für sich in Anspruch, beklagt aber auch, daß sie nicht die gleiche gesellschaftliche Macht wie die Männer erreicht und diskriminiert wird. Im Kampf gegen die Diskriminierung hat die Kommission der Senatorin Marinucci das Modell der „guten Taten“ am Arbeitsplatz eingeführt. Dabei handelt es sich darum, - auch per Gesetz - Beförderungsschritte festzulegen, die den Karriereverlauf der Frauen sukzessive dem der Männer angleichen sollen. Es handelt sich dabei nicht um Quotierungsvorschläge - 50 Prozent der Arbeitsplätze für die Frauen -, sondern um Mikromaßnahmen auf der Ebene des Betriebs oder eines bestimmten Industriezweigs, die dem in Amerika praktizierten Modell der „affirmative actions“ folgen. Quadratur des Kreises Die Kommunistinnen und die Unabhängigen, die auf den Listen der KPI gewählt wurden, haben im Parlament eine leidliche Anzahl erreicht (im Abgeordnetenhaus und dem Senat sind es zusammen 61). Dieser spürbare Zuwachs ist zum Teil den Stimmen der Feministinnen geschuldet. Die KPI, die mittlerweile bei jedem Wahlgang Stimmen verliert, konnte die Zustimmung der Restbestände der sozialen Oppositionsbewegungen der siebziger Jahre nur in geringem Maß auf sich ziehen -, lediglich bei den Feministinnen ist das anders. Sie stehen heute der kommunistischen Partei viel näher als den Sozialisten oder den Grünen oder den Radikalen. Wie kommt das? Die feministische Bewegung in Italien ist als Massenbewegung von der Bühne verschwunden, die Bewegung hat eine Wandlung vollzogen, bei der kulturelle und berufsspezifische Gruppen übrigblieben. (Der größte Teil der ehedem „jungen“ Protagonistinnen der Bewegung hat heute seinen Ort vor allem in den intellektuellen Berufen gefunden.) Auf dieser Grundlage haben sich die Kom munistinnen vor allem im letzten Jahr, Schritt für Schritt die Werte des radikalen Feminismus angeeignet, um damit die weiblichen Parteimitglieder und mögliche Wählerinnen zu mobilisieren. Diese Operation ging von der Spitze der Partei aus und wird von den aktiven KPI–Frauen mitgetragen. Als Wendepunkt gilt der letzte Parteitag der KPI, als zur Verantwortlichen der Frauen– Sektion Livia Turco gewählt wurde, eine junge Frau, Katholikin und Feministin. Ein erstes Ergebnis bildete ein programmatisches Dokument der Frauen über die Arbeit in der Partei, die „Charta der Frauen“. In dieser „Charta delle donne“ wird der Anspruch erhoben, den „sexuellen Unterschied“ auf die Ebene der politischen Institutionen zu übertragen und zur Grundlage für eigenständige Inhalte und Vorhaben zu machen. Bei diesem Dokument handelt es sich um nichts anderes als um eine feministische Revision der Ideologie der Partei. Und die KPI akzeptiert es. Der Grund dafür liegt vielleicht darin, daß die KPI unter allen italienischen Parteien am stärksten in der Krise steckt. In dem Wirrwarr ideologischer Schwenks, die in der Partei aufeinander folgen, ist Platz für alle, auch für die Feministinnen. Die nun wieder - schließlich wollen sie Feministinnen in der Partei sein - heben vor allem die linken Traditionen der Frauenbewegung hervor (Opposition gegen die ungebremste Modernisierung der Gesellschaft, gegen Konsumismus und Karrieredenken, Einsatz für die Verteidigung der gleichen Rechte aller, für Frieden und Gerechtigkeit). In einem Balanceakt wohl bemessener Zwiespältigkeit beziehen sie sich gleichzeitig auf die gegen die Parteien gerichteten, feministischen Grundsätze wie die Ablehnung einer Aufteilung der Frauen in Klassen oder das Verständnis sexueller Gewalt als etwas, das quer zur Schichtung der Gesellschaft liegt. Dank dieser Quadratur des Kreises - das heißt dank des Versuchs, die unwahrscheinliche Synthese von politischer Autonomie und Parteienzugehörigkeit zu erreichen - gehören die Kommunistinnen zu den Parlamentarierinnen, die sich stärker als andere überzeugt zeigen, sie könnten die Interessen der Frauen vertreten. Mehr noch: Sie geben sich überzeugt, diesen Antagonismus so weit meistern zu können, daß ihre Partei und selbst die Institutionen sich ändern müssen. Schließlich gibt es im neuen Parlament die grünen Frauen. Für sie ist der Feminismus bereits integraler Bestandteil der Ökologie und sie wollen nicht, daß auf die Vertretung der Interessen der Frauen besonderes Gewicht gelegt wird. Einige der grünen Parlamentarierinnen kommen aus der Frauenbewegung, eine Erfahrung, die der Vergangenheit angehört. Ihnen erscheint heute das ökologische Modell die Verteidigung der Werte Leben, Mutterschaft, „natürliche“ Sexualität, aber auch die 50– am ehesten geeignet, um die Widersprüche zwischen den Geschlechtern zu lösen. Die ungeliebte Provokation Zwischen alledem gibt es auch einen weiblichen Pornostar im italienischen Parlament. Die Kandidatur von Ilona Staller für die Radialen und ihre Wahl hat Empörung in der Öffentlichkeit - bei Männern wie bei Frauen - hervorgerufen. Zwar haben vereinzelte Stimmen - unter anderem die feministische Theaterautorin Dacia Maraini - die Wahl „Cicciolinas“ in den allgemeinen Prozeß weiblicher Emanzipation eingeordnet, der auch die Frauen aus der Sexindustrie umfasse. Im allgemeinen aber haben sich Männer wie Frauen durch den ablehnenden Charakter ihrer Kommentare in Sachen Cicciolina hervorgetan: die Mehrzahl der Männer entwickelte eine heilige Wut und Abscheu vor der „Frau–als–Objekt“, die an Rassismus grenzte. Die Frauen waren weniger grausam, wenn auch bemüht, auf Distanz zu gehen. Sie meinten, die Wahl der Staller sei die Frucht der Perfidie von Männern, denen es darum ginge, den fortschrittlichen Kampf von Frauen zu behindern, die erhobenen Hauptes ihren Weg in der Männerwelt machen wollten. Die gewählten Frauen - aus allen Parteien, einschließlich der Radikalen, die Cicciolina aufgestellt hatten - bemühten sich immerhin, „zivilisiert“ auf die Provokation zu antworten, sich jetzt Seite an Seite mit der Pornodiva auf den Parlamentsbänken wiederzufinden. Aber keine von ihnen ist auf die Idee gekommen, daß der unanständige sexuelle Unterschied, den die Frauen verdecken, um im Palazzo der Väter aufgenommen zu werden, Revanche genommen hat - verkörpert in der Abgeordneten, die die Frauen am wenigsten lieben und am wenigsten wollen. Und die von den Feministinnen am meisten gefürchtet wird. Übersetzung Teil 1 und Teil 2: Andreas Rostek

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