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Polen soll über Wirtschaftsreform abstimmen

■ Am Samstag hat Polens Parlament in erster Lesung ein umfangreiches Paket von Gesetzesvorschlägen zur Wirtschafts– und Verwaltungsreform auf den Weg gebracht / Volksabstimmung am 29. November / „Alles erlauben, was nicht verboten ist“

Berlin (afp/dpa/taz) - „Zu Geduld und Verantwortung“ rief Polens Ministerpräsident Messmer die polnische Bevölkerung angesichts der neuen Maßnahmen seiner Regierung zur Beseitigung der tiefen Wirtschaftskrise des Landes auf und kündigte für den 29. November eine Volksabstimmung über die Wirtschaftspolitik an. Die von der Regierung vorgeschlagene und von den Abgeordneten des „Sejm“, des polnischen Parlaments, in erster Lesung am Samstag beschlossene Wirtschafts– und Verwaltungsreform werde von den Menschen „nicht leicht zu akzeptieren sein“. Erhebliche Preissteigerungen und auch Arbeitslosigkeit stünden in Aussicht. Dagegen seien Lohnerhöhungen an die zukünftigen wirtschaftlichen Erfolge der Betriebe gekoppelt. Der Ausgleich des Kaufkraftverluste ist daher unmittelbar nicht zu erwarten. Ziele des Reformvorhabens sind eine grundlegende Steigerung des Warenangebots und die Anpassung der Nachfrage an den Inlandsmarkt, die Stärkung der Währung und der Ausgleich des Staatshaushalts, die Senkung der Inflation und die drastische Verringerung von Staatssubventionen für große Betriebe. Die sollen dafür eine größere Selbständigkeit auf einem freien Markt erhal ten, der nicht mehr durch Monopole verzerrt und durch staatliche Eingriffe reglementiert wird. Der Staat, so der Ministerpräsident, soll sich künftig auf die Rolle beschränken, allgemeine Richtlinien zu erlassen und die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften bei der Verwirklichung der Pläne zu überwachen. Der Ministerpräsident kün digte die Aufhebung von Beschränkungen für die Entfaltung der persönlichen Initiative an. „Es gibt ein immenses Potential bei den Menschen, und eine der Aufgaben besteht darin, dieses Potential zu aktivieren“, erklärte er. Die Bevölkerung solle in dem Referendum Gelegenheit erhalten, „Umfang und Tempo“ der Reformen zu bestimmen. Die Regierungstätigkeit soll nach Aussage des stellvertretenden Ministerpräsidenten Sadowski gestrafft und 16 Ministerien aufgelöst werden, bis zu 3.500 Staatsbedienstete, 90 Spitzenfunktionäre, würden darunter freigesetzt. Die klassischen Ministerien blieben zwar unberührt, die Wirtschaftsressorts würden jedoch völlig umgebaut. Einzelpersonen und Firmen soll künftig die Gründung neuer Unternehmen oder die Betätigung im Außenhandel erleichtert werden. Die Rolle des Finanzministeriums wird gestärkt, das Bankwesen reformiert. Einzelpersonen können so Anleihen aufnehmen. Es sollen mehrere Banken nebeneinander bestehen. Noch im Dezember soll das Verfahren zur Gründung von gemischten Gesellschaften mit ausländischem Kapital (Joint Ventures) vereinfacht werden. Die „Profitmaximierung“ werde sich in höheren Bezügen der Führungskräfte und Werktätigen niederschlagen, sagte Messmer. Die Leitlinie des Programms bestehe darin, alles zu „erlauben , was nicht verboten ist.“ Die Preiserhöhungen (bis zu 50 Prozent) bleiben der neuralgische Punkt: bisherige Preiserhöhungen in den Jahren 1956, 1970 und 1980 führten zu Unruhen in der Bevölkerung. Der Führer der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc wollte sich auf eine Beurteilung des Reformprogramms am Wochenende noch nicht festlegen. Andere Solidarnosc–Sprecher sehen jedoch in den Reformen Maßnahmen in der richtigen Richtung, die jedoch ohne freie Gewerkschaften nicht wirksam werden könnten. Erich Rathfelder

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