piwik no script img

Generalstreik gegen Killer in Kolumbien

■ Unruhen und Festnahmen begleiteten das Begräbnis des ermordeten Linkspolitikers Jaime Pardo Leal / Er war das 471. Parteimitlied der Unidad Popular, das ermordet worden ist / Im Land operieren mindestens 140 Todesschwadronen / Auch Militärs in Morde verwickelt

Bogota/Berlin (afp/dpa/ap/taz) - Am Rande des Begräbnisses des am Sonntag ermordeten Linkspolitikers Jaime Pardo Leal kam es am Dienstag in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota zu schweren Auseinandersetzungen, bei denen 57 Personen verhaftet wurden. Während über 20.000 Menschen den Trauerzug begleiteten, wurden in der Innenstadt zahlreiche Läden geplündert. Der Protest gegen die Ermordung des 48jährigen Führers der Unidad Popular (UP) weitete sich am Dienstag auf das ganze Land aus. Ein vom Gewerkschaftsverband CUT angekündigter 24stündiger Generalstreik wurde weitgehend befolgt. In den Großstädten verkehrten nur etwa zehn Prozent der Busse. Die nationale Fluggesellschaft Avianca sagte eine Reihe von Flügen ab. In der Hauptstadt blieben die Schulen und fast alle Geschäfte geschlossen. In den Städten patrouillierten Armeeinheiten. Trotzdem wurden in den Armenvierteln einiger Städte Busse angezündet und Geschäfte geplündert. Die Ausfallstraßen der 300 km nördlich von Bogota gelegenen Stadt Barrancabermeja, wo am Montag bei Protesten gegen die Ermordung Pardos ein sechsjähriger Junge von einem Querschläger tödlich getroffen worden war, waren auch gestern noch verbarrikadiert und die Stadt war abgeriegelt. Jaime Pardo Leal, der am Wochenende in einen Hinterhalt eines Killerkommandos geriet, ist das 471. Mitglied seiner Partei, das dem „schmutzigen Krieg“ in Kolumbien zum Opfer gefallen ist. Die UP war vor zwei Jahren im wesentlichen von früheren Mit gliedern der kommunistischen Guerilla, der FARC, als legale politische Partei gegründet worden, nachdem die Aufständischen mit der Regierung einen Waffenstillstand geschlossen hatten. Von insgesamt 18 Senatoren und Abgeordneten im Nationalparlament sind inzwischen vier von Todesschwadronen ermordet worden. Trotzdem erklärte der Nachfolger des erschossenen Parteiführers, Bernardo Jaramillo Ossa, seine Organisation werde am Kurs der Versöhnung festhalten. Ganz andere Töne kamen von der Guerilla. Libardo Parra, Kommandant der linksnationalistischen M–19, die sich mit der FARC jüngst in der „Guerillakoordination Simon Bolivar“ zusammengeschlossen hat, verkündete das Ende des Dialogs. „Jetzt gibt es keine Friedensverhandlun gen mehr, jetzt gibt es Krieg“, sagte er. Zudem kündigte er die Bildung eines „Kommandos“ an, dessen einzige Aufgabe in der Liquidierung der Mörder Pardos bestehen soll. Ob die FARC, die älteste und bei weitem militärisch stärkste Guerillaformation Kolumbiens diesen Kurs mittragen will, ist noch unsicher. Vor zwei Wochen noch hatten sämtliche in der Guerillakoordination zusammengeschlossenen Bewegungen der Regierung einen Friedensvorschlag unterbreitet. In diesem Zusammenhang kann der neueste Mord durchaus als Signal derer interpretiert werden, die eine Verständigung zwischen Regierung und Guerilla um jeden Preis sabotieren wollen: vor allem rechtsextreme Militärs und Großgrundbesitzer. Daß Mitglieder der Armee in die Ermordung von Führern der UP verwickelt sind, wurde gerade jüngst wieder in einem offiziellen Bericht der Bundesstaatsanwaltschaft in Bogota erwiesen. Die Regierung hat inzwischen zugegeben, daß 140 Todesschwadronen im Land operieren. Die Opposition spricht von mindestens 300. Eines der wichtigsten Ziele ihres „schmutzigen Krieges“ besteht darin, die - in der kolumbianischen Geschichte erstmalige - Volkswahl der Bürgermeister, die im kommenden März stattfinden soll, zu verhindern. Der UP, die bei den letzten Parlamentswahlen mit 4,5 Prozent der Stimmen nach den beiden traditionellen Großparteien, den Konservativen und den Liberalen, zur drittstärksten Partei des Landes avanciert ist, werden gute Chancen eingeräumt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen