: „Allah hat die Zinsleihe verboten“
■ Immer mehr Banken arbeiten auf der Grundlage des Koran - Impulse zur Lösung der Schuldenkrise?
Frankfurt (epd) - Immer mehr Banken im arabischen Raum wenden sich von den herkömmlichen Bankgeschäften ab und arbeiten auf der Grundlage des Koran, nämlich ohne Zinsen. Während dies in Europa und den USA lange Zeit belächelt wurde, gewinnen mittlerweile auch westliche Experten den islamischen Banken positive Seiten ab. Sie erwarten davon Impulse für die Bewältigung der Schuldenkrise und der Entwicklungsprobleme der Dritten Welt insgesamt. „Allah hat das Kaufgeschäft erlaubt und die Zinsleihe verboten“, heißt es in der Koransure 2,275, die jahrzehntelang kaum beachtet wurde. Inzwischen haben sie islamische Theoretiker und Praktiker gleichermaßen entdeckt. Die Theoretiker streiten sich darüber, ob der Koran Zinsen ganz allgemein oder nur Wucherzinsen verbietet. Praktiker in den Banken arabischer Länder haben diesen Streit bereits entschieden. Über 50 Kreditinstitute im Iran, in Pakistan, in Saudi–Arabien und anderen Golfstaaten betreiben zumindest einen Teil ihrer Geschäfte ohne Zinsen - und dies nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (Washington D.C.) in einem Umfang von 15 bis 20 Milliarden US–Dollar jährlich. Nach Ansicht dieser islamischen Bankiers verbietet der Koran den Zins als Preis für die Inanspruchnahme von Kapital. Wenn Kapital ausgeliehen wird, ist deshalb als Gegenleistung dafür nur etwas anderes denkbar, zum Beispiel eine Beteiligung an den Geschäften des Kreditnehmers anstelle der Zinszahlungen. Ver schiedene Modelle wurden bisher entwickelt. Das bedeutendste nennt sich Al–Mudarabah. Dabei stellt die Bank einem Unternehmen das für ein bestimmtes Geschäft notwendige Kapital zur Verfügung. Das Unternehmen bringt im Gegenzug seine unternehmerischen Fähigkeiten in das Geschäft ein. Für ihre Beteiligung erhält die Bank einen bestimmten Gewinnanteil, der vorher vereinbart wurde. Allerdings trägt die Bank auch Verluste bis zur Höhe des bereitgestellten Kapitals. Ein etwas anderes Modell ist Al–Musharak. In diesem Fall finanzieren Unternehmen und die jeweilige Bank ein Projekt gemeinsam. Gewinne und Verluste werden je nach Kapitalbeteiligung aufgeteilt. Außer diesen schon fast traditionellen Alternativen zu den herkömmlichen Zinsgeschäften unserer Banken entwickelten die islamischen Banken mittlerweile noch weitere Möglichkeiten, die immer mehr an Attraktivität gewinnen. Dies gilt insbesondere für Al–Murahaba: Die Bank tritt in diesem Fall als Händler auf und bietet ihren Kunden Rohstoffe, Halbfertigwaren, Fertigwaren und Investitionsgüter wie Maschinen an, zum Selbstkostenpreis plus einem gewissen Gewinnzuschlag. Ein anderes Modell, Al– Ijara, ist für Unternehmen gedacht, die Ausrüstungsgüter für eine gewisse Zeit benötigen, aber nicht kaufen wollen. Die Bank vermietet Geschäftshäuser, Ausrüstungen und Maschinen an ihre Kunden auf Zeit oder zum Kauf zu einem späteren Zeitpunkt. Es handelt sich dabei um eine Art „isla misches Leasing“. Diese Beteiligungsgeschäfte statt Geldverleih gegen Zonsen haben für die andere Seite des Bankgeschäfts, für die Sparer, einschneidende Konsequenzen. Sie erhalten keine festen Zinsen, sondern Anteile am Jahresgewinn der Banken. Konsequenterweise sind sie deshalb auch an den Verlusten der Banken beteiligt. Genau an diesem Punkt beginnen für Eckhard Freyer, einen Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bonn und ehemaligen Finanzberater in Saudi–Arabien, die praktischen Probleme des islamischen Bankwesens. „Da die islamischen Banken wegen der Sparer praktisch keine Verluste machen dürfen, investieren sie ihr Kapital vor allem in ganz risikolose Geschäfte. Dies sind in erster Linie Handelsgeschäfte, während risikoreichere Produktionsunternehmen kaum Kapital erhalten“, sagt er. Damit ist das Geschäftsvolumen naturgemäß begrenzt. Außerdem sieht Freyer Probleme mit dem technischen Know–How, weil diesen Banken oft die für Beteiligungsgeschäfte notwendigen Fachleute fehlten. Freyer weist aber auch darauf hin, daß diese Beteiligungsgeschäfte neue Perspektiven für die Lösung der Schuldenkrise eröffnen. Ein Grundproblem der Schuldenkrise liege in der Vergabe von Krediten ohne Bezug zu Erfolg oder Mißerfolg der damit vorfinanzierten Projekte. „Als Folge müssen die Schuldnerländer jetzt Zinsen für kreditfinanzierte Projekte bezahlen, die wirtschaftlich nie Erträge abwarfen“, erklärt er. Als Alternative schlägt Freyer eine Lösung vor, die inzwischen auch in Bankenkreisen stark diskutiert wird: Die Umwandlungen von Bankenforderungen in Beteiligungen an Unternehmen der Schuldnerländer. Auf diese Weise könnten diese Forderungen an interessierte Investoren verkauft werden. Experten des Internationalen Währungfonds kommen zu der Schlußfolgerung, daß sich ein Bankwesen ohne Zinsen, aber auf der Grundlage von Beteiligungsformen leichter auf weltwirtschaftliche Preisschwankungen einstellen könne. Denn die Auswirkungen von Finanzschocks gingen hier nicht einseitig zu Lasten der Kreditnehmer, wie dies bei der Schuldenkrise der Fall ist. Während heute zum Beispiel Ertragsverluste durch sinkende Rohstoffpreise die Schuldenlast des Kreditnehmers nicht beeinflussen, wären im islamischen Bankwesen auch die Kreditgeber an den Verlusten beteiligt. Wolfgang Kessler
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