: Das Chrom der Skipetaren
■ Genscher verhandelt heute in Tirana über Wirtschaftsabkommen / Die Bundesrepublik ist der zweitwichtigste Handelspartner Albaniens / Vor allem Interesse am Chrom des Landes
Von Erich Rathfelder
Berlin (taz) - „Es geht für den Außenminister erst einmal darum, die albanische Führungsspitze kennenzulernen“, erklärte der Pressesprecher des Außenministeriums, Herr Ringweis, auf die Frage, was Hans–Dietrich Genscher bei seinem Besuch in Tirana eigentlich verhandeln will. Drei Wochen nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der BRD und dem „einzig wahrhaften marxistisch–leninistischen“ Staat der Welt wird es aber beim vertraulichen Tete–a– Tete nicht bleiben. Zu weit sind schon die Wirtschaftsverhandlungen zwischen den beiden Staaten vorangeschritten, als daß die Beziehungen am Null–Punkt anfangen müßten. Schon zwei Jahre nach dem Tod des legendären Staats– und Parteiführers Enver Hodscha hat die albanische Politik der vorsichtigen Öffnung gegenüber Westeuropa einen Höhepunkt erreicht. Die Führung des Landes erwartet sich von der Bundesrepublik so viel, daß sie die Abgeltung der Wiedergutmachungsforderungen in Höhe von zwei Mrd. US–Dollar als Vorbedingung für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen nach jahrelangem Hin und Her fallenließ und so den Weg frei machte für die nun beginnenden Verhandlungen über ein Kooperationsabkommen. Die Freundlichkeit ging sogar soweit, Berliner bei der Aus– und Einreise genauso zu behandeln wie Bundesbürger, was ja in anderen Ländern des Sozialistischen Lagers nicht üblich ist. Klammheimlich ist die Bundesrepublik nach Italien zum zweitgrößten Handelspartner aufgestiegen - mit einem Handelsvolumen von bisher bescheidenen 82 Mio. Dollar. Doch die Interessen für eine Ausweitung sind schon formuliert: Albanien verfügt nach Südafrika und der Sowjetunion über die drittgrößten Chromvorkommen der Welt. Und da Südafrika zum unsicheren Kantonisten werden kann, ist die Sicherung dieses Edelmetalls, das vor allem in den Maschinen–, Luftfahrt–, Militär und High–Tech–Industrien Verwendung findet, von großer strategischer und industriepolitischer Bedeutung. Die Bresche für die deutsche Wirtschaft schlug Franz–Joseph Strauß. Als er 1984 zu einem „Privatbesuch“ nach Tirana flog, wurde er mit großen Ehren empfangen, und schon 1985 konnte eine Delegation unter der Leitung des Staatssekretärs im bayerischen Außenministerium, von Waldenfels, Nägel mit Köpfen machen. Die mitgereisten Manager der Firma Quelle kauften albanische Textilien ein und die Albaner zeigten an Ausrüstungsgütern für Wasserkraftwerke, Anlagen zur Chromaufbereitung und Landmaschinen Interesse. Bei einer zweiten Delegation wurde man noch konkreter: Die Firma Salzgitter A.G. könnte Chrom und Nickel abnehmen und die so dringend benötigten Erzaufbereitungsanlagen liefern. Die Förderung von bisher 100.000 Tonnen des geschätzten Chroms, das jetzt schon zu 80 Prozent ins westliche Ausland verkauft wird, soll wesentlich gesteigert werden. Kopfschmerzen bereiten der Wirtschaft immer noch die finanztechnischen Hemmungen, die sich Albanien selbst auferlegt hat. Die Verfassung des Landes verbietet die Finanzierung eigener Industrieprojekte durch Kredite aus dem Ausland. Die bisherigen Kompensationsgeschäfte komplizieren jedoch den Zugriff beim Chromgeschäft. Und so wird der Außenminister heute die Gelegenheit nutzen, den Albanern Tricks für die Umgehung der eigenen Verfassung aufzuzeigen.
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