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Journalistin trifft „Terroristin“

■ ... und die Liebe bricht aus. „Flüge über Moabiter Mauern“ erzählt die wahre Geschichte einer fiktiven Liebe / Eine Rezension

Sie lernen sich unter Hochsicherheitsvorkehrungen im Saal 700 kennen, Ort der politischen Prozesse im Kriminalgericht Berlin–Moabit: Die „Terroristin“ Katharina, angeklagt wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und bereits eineinhalb Jahre in U–Haft, und die Journalistin Traude, Prozeßbeobachterin für die Frauenzeitschrift Courage. Fragen der Journalistin „nach ihrer besonderen Situation im Gefängnis“ beantwortet Katharina mit der Einladung: „Ach komm doch mal. Ich bin doch immer zu Hause.“ In Traude Bührmanns autobiographischer Erzählung „Flüge über Moabiter Mauern“ geht es weniger um einen weiteren Beitrag zum Thema „10 Jahre deutscher Herbst“, sondern vielmehr um die Entstehungsgeschichte einer komplizierten Liebesbeziehung zwischen diesen beiden Frauen, von denen sich die eine als Antiimperialistin, die andere als Feministin versteht. „In unserer Staatsfeindlichkeit waren wir uns einig. Bei der Wahl der Waffen schieden sich unsere Geister. Wir stritten um den Feind Nummer Eins: den imperialistischen Staat und den imperialistischen Mann.“ Diese Zerrissenheit spiegelt sich auch in den Frauengruppen der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wider, in denen die Autorin nach einer politischen Orientierung sucht: Aufgrund der unterschiedlichen Analyse des Haupt– bzw. Nebenwiderspruchs und der „Wahl der Waffen“ werden die Auseinandersetzungen zwischen Antiimperialistinnen und Feministinnen zunehmend härter. Die Protagonistinnen (die in der Erzählung nur mit dem Vornamen genannt werden) scheinen jedoch vor den Mechanismen der gegenseitigen Aus– und Abgrenzung gefeit: Trotz der politisch unterschiedlichen Standorte und der limitierenden Kommunikationsbedingungen - alle zwei Wochen eine halbe Stunde Besuchszeit, Trennscheibe, Anwesenheit des Verfassungsschutzes, Briefzensur - verlieben sie sich leidenschaftlich. Not macht erfinderisch. Katharina und Traude erfinden Form und Ausdruck ihrer Beziehung ständig neu: Sie schreiben Gedichte, malen Bilder, entwickeln Geheimcodes. Sie imaginieren mehr und mehr die jeweilige Anwesenheit der anderen, treffen „imaginäre“ Verabredungen und tauschen sich über diese Verabredungen aus. „Wir verabschiedeten uns. Mit viel Zeit. Für Sonntag den ganzen Tag.“ Ein Gespinst aus Phantasie und Erleben entsteht, das faszinierend und beängstigend zugleich wirkt. Eva Forests Gedanken - geschrieben im Gefängnis - standen dafür Pate: „Mittels der Fantasie eine Fiktion zu ersinnen, ist eine Art und Weise, einen neuen Weg in die Realität zu eröffnen und dadurch auf sie einzuwirken.“ In den Briefen Katharinas ist jedoch auch von den Bedingungen der Isolationshaft, den Methoden der „weißen Folter“ und der Erniedrigungen durch das Gefängnispersonal die Rede. „Gleich zu Anfang unten auf dem Hof zückt der Bulle die Bildzeitung, hebt sie sofort hoch, so daß ich sie unbedingt sehen muß, die fette Überschrift: In Mogadishu alle Terroristen tot.“ Ein Revisionsprozeß bringt Hoffnung auf eine frühere Haftentlassung. Die Imaginationen nehmen zu und lassen für die Autorin den Alltag immer mehr zur Qual geraten. All ihr Denken ist auf die gemeinsame Zukunft fixiert: „Auf jeden Fall sollst du mich wecken, wenn du zuerst wach wirst, ja? Ich weck dich dann abends, wenn du zuerst einschläfst.“ Katharina kontert darauf: „Sollst mal sehen, wie wir nach 14 Tagen rumzucken. Macht nämlich ganz schön nervös, die Weckerei... Aber ich weiß genau, was du meinst.“ Die Hoffnung auf Katharinas Haftentlassung zerschlagen sich. Die beiden Frauen sind zäh, geben nicht auf, unternehmen neue Versuche. Im letzten Drittel wird immer wieder das gleiche Wechselbad von Hoffnung und Enttäuschung beschrieben - bis zum Überdruß der Leserin. Der Schluß läßt die Zukunft der Beziehung nach Katharinas Haftentlassung offen. In der Beschreibung der ersten Begegnung außerhalb der Gefängnismauern und Gerichtssäle deutet sich schmerzhaftes Mißverstehen an: Imagination und Realität treten in Widerstreit zueinander. Ob ihre Liebe die Freiheit erträgt, ist fraglich. Monika Flamm Traude Bührmann, Flüge über Moabiter Mauern, Orlanda–Frauenverlag, Berlin 1987, DM 19,50

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