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Das Verblassen eines rot–grünen Traumes

■ Ohne schlagkräftige Zielsetzungen endeten die Landesparteitage der SPD und der Grünen in Hessen

Gut ein halbes Jahr nach dem Zusammenbruch der rot–grünen Koalition in Hessen haben SPD und Grüne immer noch Probleme mit ihrer Rolle in der Opposition. Während die SPD nach wie vor Trauerarbeit ob der verlorenen Regierungsmacht leistet und sich mit Perspektiven schwertut, versuchen die Hessen–Grünen, sich über ihre Flügelkämpfe hinweg als politischer Motor der Opposition zu profilieren. Gemeinsam ist den ehemaligen Koalitionspartnern nur noch der Gegener: Wallmann muß weg.

Daß die mehr als zweijährige Liaison der hessischen Sozialdemokraten mit den Grünen - Toalition und Koalition - an der Traditionspartei nicht spurlos vorübergegangen ist, war am Sonnabend in Alsfeld nicht zu übersehen: Statt der bislang üblichen „proletarischen Mittagsmahlzeit“ - Kotelett mit Kartoffelsalat - wurde den 232 Parteitagsdelegierten eine Minestrone serviert, die sozialdemokratischen Hostessen strickten Pullover und Andreas von Schoeler, Ex–Staatssekretär im hessischen Innenministerium, trug demonstrativ eine rot–grüne Krawatte. Der rot–grüne Traum, der vor allem für die hessischen Sozialdemokraten nach der verlorenen Hessenwahl vom 5. April zum Alptraum wurde, war auf dem ersten SPD–Parteitag nach dem „Desaster“ aber auch auf dem Felde der Politik allgegenwärtig. Der vom neuen und alten Parteivorsitzenden Hans Krollmann ausgegebenen Parole vom „Ärmel aufkrempeln, aufbauen, zupacken“ stand das Bedürfnis diverser Delegierter gegenüber, mit der Parteispitze, die in den Katastrophenwochen von Wiesbaden „selbstherrlich wie ein Aufsichtsrat“(Juso–Chef Krumbach) gehandelt habe, abzurechnen. Doch die mehrheitlich vom linken Parteiflügel geforderte Aufarbeitung der jüngsten Geschichte der hessischen SPD scheiterte am Harmoniebedürfnis der Delegierten, die - ganz im Sinne der Parteiführung - „nach vorne“ blicken wollten, ohne für die harten Jahre der Opposition ein Konzept in der Tasche zu haben. Daß es überhaupt zu den schar fen Attacken einiger Jungsozialisten und „Altlinker“ gegen den Parteivorstand kam, lag nicht zuletzt an dem, in seiner Dürftigkeit einer Provokation gleichkommenden Rechenschaftsbericht des Landesverbandes. Mit der griffigen Formel, daß die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl die eigentliche Ursache für die politische Katastrophe in Wiesbaden gewesen sei, wollte der Landesvorstand um den Parteivorsitzenden Krollmann den leidigen Streit um den „richtigen Weg“ unter den Teppich der Geschichte kehren. Suche nach Schuldigen Daß diese Vorgehensweise nach Verdrängung roch, konstatierte während der gut zweistündigen Debatte zum Rechenschaftsbericht einer der direkt betroffenen Sozialdemokraten: Der Atomphysiker Klaus Traube, der im sogenannten „Doppelvierer“ maßgeblich am Zustandekommen des ALKEM–Kompromisses zwischen den Ex–Regierungsparteien beteiligt war, fand zu deutlichen Worten: „Die rot–grüne Koalition ist an der ALKEM–Genehmigungsankündigung von Steger und am Abtauchen von Landesvorstand und Fraktion in der Krise gescheitert.“ Ähnlich hart ging der Juso–Vorsitzende Gernot Krumbach mit dem Parteivorstand ins Gericht. Das höchste Parteigremium habe es seinerzeit noch nicht einmal für nötig befunden, einen Beschluß über den Bruch der Kolition mit den Grünen herbeizuführen. Eine Handvoll Männer an der Spitze der Partei sei bereit gewesen, die Glaubwürdigkeit der SPD auf dem ALKEM–Altar zu opfern, trotz gegenteiliger Beschlüsse der Partei. Krumbach: „Die SPD war in dem dann folgenden Wahlkampf in etwa so glaubwürdig wie ein Anti–Alkoholiker, der eine Schnapsfabrik bauen läßt.“ Vorstandsmitglied Jörg Jordan, Ex–Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, schüttete sich denn auch Asche aufs Haupt - Jordan kandidierte für den neuen Landesvorstand: „Ich hatte keine Kraft für eine Palastrevolte.“ Und der Parteivorsitzende Hans Krollmann selbst gab in seinem Schlußwort zur Rechenschaftsberichtsdebatte einen Zipfel der „Wahrheit“ preis: „Ich hätte den sehen wollen, der Holger Börner auf der Intensivstation gesagt hätte, daß sein Weg der falsche sei.“ Brave Delegierte Doch die „Palastrevolte“ fand auch in Alsfeld nicht statt. Brav wählten die Delegierten den Landesvorstand, den ihnen der alte Landesvorstand zur Wahl vorgeschlagen hatte. Mit satten Mehrheiten wurde so der alte Landesvorstand zum neuen - garniert mit einer „neuen Frau“(Dorle Marx), die für den Ex–Fraktionsvorsitzenden Ernst Weltecke an die Parteispitze rutschte. Daß der Wahlverlierer Hans Krollmann, der noch auf dem Hessenwahl– Parteitag in Sprendlingen 97 Delegiertenstimmen auf sich vereinigen konnte, in Alsfeld nur noch von knapp 80 wurde, lag allerdings weniger am Bedürfnis des Parteitages nach Abrechnung. Krollmanns Weigerung, sich schon heute für eine Neukandidatur als Ministerpräsident für die Landtagswahlen 1991 zu entscheiden, sorgte in Alsfeld für einige Verblüffung bei den Delegierten. Daß die Partei, die in Hessen immerhin 40 Jahre lang Regierungsverantwortung trug, ihre Oppositionsrolle - nach mehr als sechs Monaten - noch immer nicht angenommen hat, fiel auf dem Parteitag auch nur den Linken auf. Der Jungsozialist Schmidt warf der Landtagsfraktion vor, beim politischen „Zubeißen“ vorher das Gebiß herauszunehemen. Und Juso–Chef Krumbach sattelte noch drauf: „Die SPD ist die Regierungspartei im Wartestand - warten auf die Dienstwagen.“ Parteichef Krollmann hielt denn auch eine eher leidenschaftslose Rede, die in Attacken auf die schwarz–gelbe Regierungskoalition gipfelte: „Wallmann geht es nicht um Hessen. Wallmann geht es ausschließlich um Wallmann.“ Ein Konzept, wie die Partei in den kommenden dreieinhalb Opposi tionsjahren dieser Wallmann–Regierung politisch Paroli bieten soll, hatte Krollmann dagegen nicht im Angebot. Die Sozialdemokraten seien die bessere „Regierungspartei“, meinte Krollmann - die Oppositionsrolle war im mittelfristig angelegten Konzept der Hessen–SPD offensichtlich nicht eingeplant. So blieb es dem Bonner Oppositionsspezialisten der Partei, Hans–Jochen Vogel, vorbehalten, den Delegierten den dornenreichen Weg zurück an die Macht en detail zu beschreiben: Mitarbeit in Verbänden und Vereinen, in Initiativen und Selbsthilfegruppen und in den Kirchengemeinden, Werbung neuer Mitglieder, Erhöhung des Frauenanteils in den Führungsgremien der Partei und das Eindringen der SPD in die neuen Mittelschichten. Daß der SPD im Dienstleistungs–Bundesland Hessen insbesondere im Ballungsraum Rhein–Main die Wähler zur CDU und zu den Grünen davonlaufen, hatte von den Hessen zuvor nur der Frankfurter Martin Wenz problematisiert. Die Wahlniederlage vom 5. April sei deshalb „kein Betriebsunfall“ gewesen, sondern die Folge eines sozialen Wandels. Für den Parteivorsitzenden Vogel muß die SPD deshalb die Irseer–Entwürfe und die Nürnberger–Beschlüsse, die den politischen Einstellungen dieser neuen Mittelschichten gerecht werden würden, glaubwürdig nach außen vertreten. Doch genau das scheint der Partei an der Basis noch schwerzufallen. „Wenn ich in meinem Ortsverein die Nürnberger Programmatik vertrete, droht mir dort ein Parteiausschlußverfahren“, erklärte ein resignierender Jungsozialist auf dem Parteitag seinem Nachbarn - im Flüsterton, versteht sich. Klaus–Peter Klingelschmitt

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