Paris fürchtet um Atomtestgebiet

■ Mit drastischen polizeilichen Maßnahmen will Frankreich den Aufruhr in seiner Pazifikkolonie erdrücken

Ausnahmezustand, nächtliche Ausgangssperre und massive Verstärkung der Polizeitruppen sind die Antwort der französischen Regierung auf eine Revolte in Papeete, der Hauptstadt Tahitis, der größten Insel der französischen Pazifikgruppe. Der Grund für das massive Vorgehen liegt auf der Hand: Papeete ist der wichtigste Umschlagplatz für das Atomtestgebiet Moruroa–Atoll, tausend Kilometer von Tahiti entfernt.

Paris (taz) -Heute herrscht Ruhe auf Tahiti. Der am Samstag auf Geheiß der französischen Regierung ausgerufene Ausnahmezustand dauert an. Noch gestern abend erwartete man auf der Südpazifikinsel zwei Pariser Polizeieinheiten zur Verstärkung der staatlichen Ordnungmacht. Über 1.000 Polizisten werden dann für die nur 170.000 Einwohner zählende polynesische Inselgruppe zur Verfügung stehen. Die Verstärkung ist Paris letzte Rettung. Plötzlich und unerwartet brach der soziale Aufstand in der Nacht zum Samstag in der polynesischen Hauptstadt Papeete auf Tahiti aus. Die Szenen erinnerten an die Kreuzberger Nächte im Mai. Supermärkte wurden ausgeräumt, Autos brannten, die Polizei war hilflos. Während Frankreich derzeit den sozialen Frieden feiert, geht die Kolonie unvermutet in Flammen auf. Die polynesische Jugend randalierte an diesem Wochenende in Papeete, gequält durch die Arbeitslosigkeit, verdrängt durch die immigrierenden Franzosen und verführt durch den zur Schau getragenden Luxustourismus auf der Insel. Angst bekamen dabei vor allem die französischen Militärs. „Wenn man nichts unternimmt, wird alles brennen,“ warnt General a.D. Jean Thiry, seinerzeit der erste, noch von De Gaulle eingesetzte Chefkommandant des französischen Atomversuchszentrum auf Moruroa unweit Tahitis. „Von dem Moment an, wo Gewalt entsteht“, so der Ortskenner Thiry, „muß man zumindest den Hafen von Papeete schützen.“ Eben dieser Hafen, Umschlagplatz aller Importe auch für die französischen Militärs, war in Gefahr. Beim Streik der Hafenarbeiter nahm die Revolte ihren Ausgang. Die Hafenarbeiter, gewerkschaftlich organisiert und in ihrer großen Mehrheit Polynesier, kämpfen seit Jahren mit oftmals erfolgreichen Streiks für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, der durch die Gründung einer neuen Schiffahrtsgesellschaft von französischer Seite gefährdet ist. Beim Versuch der Arbeiter, den Hafen zu blockieren, griff die Polizei brutal ein. Die einheimische Jugend aber solidarisierte sich offenbar schnell mit den Streikenden und ergriff die Chance zur Plünderung der attraktiven Strandgalerien. Heute schon verspricht der französische Kolonieminister Bernard Pons in Paris, daß der derzeitige Zustand auf Tahiti „völlig vorübergehend sei und maximal zwei oder drei Tage andauern könne“. Der Ausnahmezustand soll also bald wieder aufgehoben werden. In der Tat muß es für die selbsternannte Pazifikmacht Frankreich peinlich genug sein, daß zu einer solchen extremen Maßnahme gegriffen wurde. Bis heute haben die Anrainerstaaten im Pazifik, von Japan über Neuseeland bis Australien, nicht aufgehört, die rückständige französische Kolonialpolitik in der Region auch vor den internationalen Gremien zu kritisieren. Und Frankreich bleibt im Falle Polynesiens kaum der Ausweg, den man auf Neukaledonien suchte. Mit einem Volksreferendum, wie man es dort veranstaltete, ist auf Tahiti nichts zu holen, denn hier befinden sich die französischen Siedler in der krassen numerischen Minderheit. Der Pariser Pazifikexperte Jean Guillard macht sich deshalb weiter Sorgen um die Ruhe auf Tahiti. „Die Revolte“, so Guillard, „kann jeden Tag von neuem beginnen.“ Guillard schlägt vor, zumindest die privatisierten Palmenstrände wieder der Jugend zugänglich zu machen. Georg Blume