Endlager für deutsche Geschichte

■ Kanzler Kohl überreicht den Berlinern ein Museum für Deutsche Geschichte als Geburtstagsgeschenk

Der Gründungsakt war symptomatisch für das gesamte Projekt eines „Deutschen Museums“, das Kanzler Kohl unbedingt in der ehemaligen Reichshauptstadt gebaut sehen will: Statt einen Grundstein zu legen, konnte Kohl nur eine Tafel enthüllen, da das zukünftige Grundstück noch nicht feststeht. Trotzdem wurden die Urkunden überreicht, feierliche Reden gehalten und Entschlossenheit zum Bau eines repräsentativen Ortes deutscher Geschichte demonstriert.

Wer glaubt, das Adjektiv „hohl“ sei nicht steigerbar, muß sich durch den feierlichen Gründungsakt für das „Deutsche Historische Museum“ eines Besseren belehren lassen. Etwas Leereres als diese staatliche Leerformel ist kaum denkbar: Ausgerechnet zum tatsächlichen Geburtstag der Stadt Berlin wurde in Form eines Festaktes lediglich die vollmundige Ankündigung aus der Regierungserklärung von Kohl wiederholt und überhöht. Enthüllt wird ein „mobiler Grundstein“, der erst sein Grundstück suchen muß. Denn: Es gibt noch kein Grundstück, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für das Grundstück erst durch den Flächennutzungsplan geschaffen werden muß, der wiederum frühestens 1989 verabschiedet wird. Statt einer Konzeption gibt es Papiere, statt Exponate Trödel. Aber: Die Vorgeschichte, voll von Grotesken und Gespenstern, überlagert jetzt schon die Leere des Projektes. Im Juni 1985 stand Kohl an einem Fenster des Reichstages und - Bild berichtete - wies mit Feldherrengeste auf den idealen Bauplatz: „Hier soll das Deutsche Museum hin.“ Es war die Stelle, die Albert Speer für Hit lers Reichskanzlei im Zentrum der künftigen Reichshauptstadt „Germania“ vorgesehen hatte. 1986 gab es einen nationalen städtebaulichen Wettbewerb, um das unvermeidliche Geschenk urbanistisch einzubinden. Einen ersten Preis vermochte die Jury nicht zu vergeben. „Enttäuscht über das Niveau“ der eingereichten Entwürfe sei man gewesen, erklärte der Vorsitzende des Preisgerichtes, Jaap Engel, seinerzeit. Die zweiten Preise machten das Dilemma offensichtlich: Es gibt drei Alternativen, die entweder städtebaulich unsinnig oder politisch nicht durchsetzbar sind. Will man das Museum in ein ausreichend großes Stadtviertel am Spreebogen einbauen, muß man unerträglich viel vom Tiergarten abschneiden. Oder man baut eben einen monumentalen Solitär am Spreeufer, wenn man nicht - so die dritten Preisträger, Zillich/Halfmann - gänzlich auf Bauten in diesem Teil des Tiergartens verzichtet. Zillich/Halfmann begründeten die „grüne Lösung“ immerhin überzeugend: Es bestehe „im Wettbewerb kein akuter Neuordnungsbedarf“. Es handele sich um einen Freiraum „mit wenigen Objekten, die auf der tabula rasa die deutsche Geschichte symbolisieren. (...) Der Ort ist das Museum.“ Die Jury, vor allem Altbundespräsident Scheel als einer der Preisrichter, favorisierte diese Konzeption, die aber wiederum ein persönlicher Affront gegen Kohl wäre. Generelles Ergebnis dieses blamablen Wettbewerbs: Eine städtebauliche Lösung gibt es nicht. Walter Scheel formulierte bei der Preisvergabe einen Generalverdacht gegen alle baulichen Versuche: Es bestehe die Gefahr, daß der „Reichstag zur Pförtnerloge für ein architektonisches Konglomerat“ werde. Der Tenor, mit dem jetzt der internationale Architektenwettbewerb für das Museum ausgelobt wurde, bestätigt geradezu Scheels düstere Ahnung. Es wird verlangt, daß „Masse, Stil und Gliederung“ des künftigen Museums „dem Reichstag standhalten“ soll. Das Geschenk Kohls an die Stadt wird also mit betonierter Wucht eine städtebauliche Festlegung erzwingen, die im Grunde nicht einmal der Senat wirklich will. Ein Areal, das wegen der Geschichte und der weltpolitischen Lage als das spannendste und heikelste städtebauliche Rebus in Europa angesehen werden muß, wird glatt verspielt. Die durch Berlin geisternde Diskussion, ob für eine künftige Hauptstadt gebaut werden soll oder ob die bestehende Teilstadt in ihrem „zentralen Bereich“ eine Stadtkrone erhalten soll, läßt sich nicht entscheiden. Der Vorstoß des SPD–Politikers Nagel (1986) für den Bau eines „demokratischen Forums“ verpuffte denn auch. Das Einzige, was im Grunde feststeht, ist, daß auf keinen Fall im „zentralen Bereich“ um den Reichstag herum in Konkurrenz zur DDR–Hauptstadt gebaut werden darf, denn das würde, so der SPD–Vorsitzende Momper, „die Spaltung vertiefen“. Das Museumsprojekt befindet sich jedoch in einer erklärten Konkurrenz zum Zeughaus in Ost–Berlin. Es soll, so die oft wiederholte Formel des Kanzlers, den Deutschen nahe bringen, „woher sie kommen und wohin sie gehen“. Diese Auflage wurde auch in die Auslobung zum internationalen Architektenwettbewerb (mit 660.000 DM hoch dotiert; „der bedeutendste Architekturwettbewerb bis zur Jahrhundertwende“/ Bauminister Oskar Schneider) festgeschrieben. Es wäre aber verfehlt, das Projekt als monumentalen Legitimationsversuch des Kohlschen Geschichtsbegriffs, als historiographische Attacke der Wenderegierung zu denunzieren. Seitdem vor eineinhalb Jahre die 16köpfige Historikerriege die Arbeit aufnahm, ist es klar, daß repräsentative Nationalgeschichte keine Chance hat. Es waren genug junge sozialgeschichtlich orientierte Historiker in der Kommission, die zumindest konzeptionell dafür garantierten, daß Kritik an der Nationalgeschichte, Einbeziehung von Sozial– und Alltagsgeschichte auch stattfinde. Eines der Kommissionsmitglieder, Jürgen Kocka, meinte aber: „Am Ende wird entscheidend sein, welche Personen die Sache in die Hand nehmen.“ Eine Person ist der Münchner Ausstellungsmacher und Historiker Stölzl, der sich als „Radikaldemokrat“ versteht und mit einem unbezweifelbaren Renommee für kritische Ausstellungen (eine provokative Geschichte der Atomkraftwerke und Darstellung der Verfilzung Münchner Bürger mit der nationalsozialistischen Bewegung) nach Berlin gekommen ist. Er hat ab 1.Januar 1989 den Titel: „Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums und Professor“. Die Bereitschaft der Expertenrunde, kritische Geschichtsbegriffe zu integrieren, ergibt sich aus der schieren Inhaltsnot angesichts der Monumentalität des Projektes. Das war auch der Grund, warum die SPD–Initiative, betreut vom Historiker Mommsen, nicht so recht ins Spiel kam. Sie formulierte ein offenes Ausstellungskonzept mit organisierten Debatten, offen auch für Gastausstellungen aus „Mitteleuropa“. Allein, auf Offenheit schwört auch Stölzl. Die Kontroverse erstarb an der schwammartigen Integrationskraft des Großprojektes. Der Protest der Grünen und der Alternativen Liste kam letztlich aus einer biederen Mischung von Ökoprotest, Widerstand gegen die Westtangente und Forderung nach „Geschichte von unten“ nicht hinaus. In einer Veranstaltung im Reichstag wünschte sich der Architekt Schindler Biergärten statt Museum und einen mahnenden See an der Siegessäule. Aber die Front von Geschichtswerkstätten, Verteigern von Grünflächen und allgemeiner Kritik gegen Nationalgeschichte blieb ohnmächtig. Allein Habermas, der den „Historikerstreit“ mit ausdrücklicher Beziehung auf die Museumsprojekte in Berlin und Bonn entfesselte, hätte beinahe die Voraussetzung für den notwendigen nationalen Streit geschaffen. Der Berliner Historiker Dirk Müller hatte auf jener Veranstaltung der Grünen das Problem platt und klar benannt: „In erster Linie geht es darum, einen Freiraum zu verteidigen..., aber mit Freiräumen läßt sich kein Geld verdienen.“ Der Druck der Millionen schluckt die Kontroverse. Die Investitionssumme ist inzwischen auf 380 Millionen DM hochgesetzt worden. Wenn man sich erinnert, daß das Kongreßzentrum seinerseits mit 230 Millionen DM begann, um bei 1,4 Milliarden DM zu enden, dann darf man sich schon auf Fortsetzung der endlosen Geschichte Berliner Bauskandale freuen. Aber gleichzeitig wird das Museum auch zur größten ABM– Maßnahme für arbeitslose Akademiker. Jetzt schon spürt man die Hitzewellen aus der Masse künftiger Werkverträge. Eine Macht des Faktischen, die nur noch gefährdet werden kann, wenn in dieser Stadt die wirklich anstehende Geschichtskontroverse endlich beginnt: Je ferner und großkotziger die Musealisierung der Geschichtsbewältigung wird, desto mehr wird das Versagen hervortreten - 43 Jahre nach dem Krieg gibt es kein Musem über den Nationalsozialismus. Die Scham über diesen Mangel bleibt, wenn überhaupt, privat. Klaus Hartung