: I N T E R V I E W „Das Urteil ist eine Katastrophe“
■ Günther Zint, Fotograf in Hamburg, über die Auswirkungen des Verfassungsgerichtsurteils
taz: Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch für Recht erkannt, daß Fernsehanstalten und Fotografen Bildaufnahmen herausgeben müssen, wenn sie der „Aufklärung erheblicher Straftaten“ dienen. Was heißt das für die Zunft? Diese Festschreibung ist schlichtweg eine Katastrophe. Nun kommen noch mehr Staatsanwälte auf die Idee, sich auf diese Art Beweismaterial zu besorgen. Die Berufsverbände wollen ja seit langem, daß Fotografen den Wortkollegen gleichgestellt werden und sie sich ebenfalls auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können. Nun sagt das Urteil, gerade weil Aufnahmen zum „selbst erarbeiteten“ Material gehören, unterlägen sie nicht dem Zeugnisverweigerungsrecht. Das ist ein juristischer Winkelzug. Für uns kommt heraus, daß wir zu potentiellen Polizeifotografen werden. Sollten wir überhaupt noch auf Demonstrationen arbeiten können, werden die Leute, unter ihnen sind ja auch nicht wenige Paranoiker, uns künftig schärfer angreifen, weil sie davon ausgehen, daß die Bilder bei der Polizei landen könnten. Der Wind weht uns also noch schärfer ins Gesicht. Fotografen und Kameraleute am langen Arm der Staatsanwälte, wie läßt sich das verhindern? Ich kann Kollegen nur empfehlen, künftig alles Material, was schwierig ist oder als Beweismittel in Frage kommt, nicht mehr bei sich zu Hause aufzubewahren. Die stellen bei einer Hausdurchsuchung sonst die ganze Bude auf den Kopf. Das Material, um das es bei der Haussuchung vor einigen Tagen bei uns ging, haben wir gegen Urkunde bei einem Notar hinterlegt. Das ist der einzige Trick, wie man rauskommt. Wenn ein Gerichtsbeschluß vorliegt, ist allerdings auch ein Notar gezwungen, die Sachen herauszugeben. Vorsorglich habe ich allen erkennbaren Personen auf den Negativen die Köpfe herausgekratzt. Was muß jetzt passieren? Der Gesetzgeber ist aufgefordert, endlich das Zeugnisverweigerungsrecht auf Fotografen aufzudehnen. Nur so können wir ungehindert unseren Beruf ausüben. Alles andere stärkt den heute schon grassierenden „Public–Relation“–Journalismus. Ungefilterte Informationen wird es sonst kaum noch geben. Wenn mein Gewissen schlägt, etwa bei Mord und Totschlag, kann ich sagen, dieses Foto gebe ich freiwillig heraus, um einen Strafttäter seiner gerechten Strafe zuzuführen. Fotografen haben ein eigenes Gewissen. Das muß man ihnen lassen und es nicht zum Staatsgewissen machen. Interview: Benedict .Mülder
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