: Wildgewordener Dollar drückt Börse
■ Erstes Opfer ist Stoltenberg: Kein Privatleben für VW / Bald historischer Tiefststand / Ostasien und Europa abwärts, USA zu Beginn aufwärts / Scharfe Worte von Delors an Finanzminister Gerhard Stoltenberg
Berlin (taz) - Der Dollarkurs ist den Regierungen der sieben wichtigsten Industrienationen ganz offenbar aus dem Ruder gelaufen. Das Louvre–Abkommen, in dem die Gruppe der sieben wichtigsten Industrienationen (“G–7“) im Februar die US–Währung bei etwa 1,80 DM festlegte - und das seither im Großen und Ganzen eingehalten werden konnte - ist inzwischen eine vergangene Episode. Der Dollareinbruch setzt dabei die Aktien der europäischen Exportindustrien durch verschlechterung ihrer Konkurrenzposition gegenüber den USA erneut unter Druck. Trotz massiver Stützungskäufe von Dollar (allein die Bundesbank legte sich gestern 49,5 Millionen davon zu, Japans Zentralbank derer 300 bis 400 Millionen) lautete der offizielle (“Fixing“–) Kurs am Donnerstag 1,7360 DM, also einen Pfennig unter Vortagsniveau. Am Mittwoch haben die westlichen Notenbanken insgesamt zwei Milliarden Dollar aufgekauft. Spätestens in der nächsten Woche dürfte der historische Tieftsstand vom 3.1.1980 (1,7062) erreicht sein. Die Kurse an den ostasiatischen und europäischen Aktienbörsen standen gestern erneut unter gewaltigen Abwärtstrends. In der Bundesrepublik erwischte es insbesonders die AEG, die um 20 Mark auf 233 Mark sackte und VW (minus 27 Mark, jetzt 260 Mark). Ergebnis davon ist, daß Bundesfinanzminister Stoltenberg den geplanten Verkauf des restlichen Bundesbesitzes an VW (16 Prozent der Aktien) nach Informationen der Agentur ap gestern erstmal abgeblasen hat. Lediglich VEBA, BMW, Schering und die Deutsche Bank legten zu. Die New Yorker Börse an der Wall Street meldete gestern zur Eröffnung dagegen steigende Tendenz. In der ersten halben Stunde nach Börsenbeginn zog der dortige Dow Jones Index für die Industrieaktien um 32,32 Punkte auf 1.879,14 Punkte an. Die Bundesregierung wies gestern in äußerst scharfer Form die Kritik des Präsidenten der EG– Kommission, Jaques Delors, zurück, der erklärt hatte, die Bundesrepublik habe mit ihrer „verantwortungslosen“ Politik höherer Zinsen das Ganze ausgelöst: Delors zeichne ein völlig falsches Bild von der Zusammenarbeit der Finanzminister und Notenbankgouverneure der großen Industriestaaten. Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums meinte, „die Bundesregierung erwartet, daß Persönlichkeiten, die nicht an diesen Beratungen teilnehmen, von improvisierten Stellungnahmen absehen, die falsche Signale auslösen“. ulk Kommentar S.4, siehe auch S.5 und Wirtschaftsseite 8
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