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„In Norden geit dat so wieder as vörher“

■ Die „Erschütterung der Republik“ findet an der Waterkant nicht statt - jedenfalls nicht bei den Dauerfahrgästen eines Butterschiffes / „Eine Affäre kommt in den besten Familien vor“ / Nur einer möchte „den ganzen Landtag einsperren“

Aus Kiel Petra Bornhöft

Wie jeden Morgen mieft es auf dem Fährschiff „M/S Langeland“ schon um halb elf nach Pommes und ranzigem Öl. Das stört die rund hundert betagten Dauerpassagiere wenig. Klönschnack, Kaffe, Kartenschpieln und der zollfreie Einkauf für die Kinder sind „immer wieder eine schöne Abwechslung“, sagt die Dame mit dem braunen Angora–Wollhut. Sie legt das gute Stück während der sechsstündigen, mutmaßlichen Schaukelpartie Kiel - Insel Langeland–Kiel nicht ab. Vor der Thermoskanne in der schmuddeligen „Kaffetheeria“ sitzend, studiert die Rentnerin mit ihrer Freundin die Bild–Zeitung: „Der Abschied“. Das Blatt liegt auf vielen Tischen. Daneben die Kieler Nachrichten (KN): „Der Abschied von Uwe Barschel“. Die Beisetzung des Ex–Ministerpräsidenten am Tag zuvor veranlaßte den KN–Kommentator abzuschreiben, was seit Tagen durch die Medien geistert: „Nichts wird mehr so sein wie vorher. Eine tiefe Verunsicherung macht sich breit... schwerwiegender Schaden ... ehrliche Suche nach der politischen Glaubwürdigkeit“. Diese Sprüche sind von ähnlich ernstzunehmender Qualität wie die Ankündigung der Metall– und Bergbaugewerkschaften, an Rhein und Ruhr werde demnächst die Stahl– und Grubenarbeiterrevolte ausbrechen. Eine Minderheit der Reisenden will von dem Thema Pfeiffer/Barschel nichts mehr hören. „Dat is nganz schietigen Krom“ sagt Frieda Stöhr (68), während sie bedächtig den Bernsteinring dreht. Am Nebentisch verbietet die kleine Dicke ihrem noch kleineren Mann jeden Kommentar: „Bist du wohl still, Karl.“ Mit heiserer Flüsterstimme wehrt sich der hagere Alte: „Und ich sag es doch: Barschel war ein mutiger Mann.“ Die Dame wedelt mit der Zeitung - ihr Karl schweigt. Eine junge Juristin hat den Ehestreit beobachtet: „Sehen Sie, Streit gibts überall. Barschel war vielleicht in eine Affäre verwickelt. Na und, meine Güte, das kommt in den besten Familien vor.“ Die überzeugte CDU–Anhängerin zupft eine Samtschleife über der weißen Bluse zurecht, schaut zu dem wieder friedlichen Ehepaar hinüber und resümiert: „Die Aufregung wird genauso schnell verschwinden wie jeder andere Skandal.“ Eine auf dem Butterschiff weit verbreitete Meinung. Auch Fiete Carstensen und Hans Jensen, zwei Ex–Buchhalter in den Siebzigern, sind sich einig: „Hier oben geit dat so wieder as vörher“. Wenn sich die parlamentarischen Machtverhältnisse ändern sollten, sei das egal: „Filz ist immer da, ob schwarz oder rot.“ Die beiden SPD–Wähler spekulieren über die Neuwahlen: „Die Parteigenossen bleiben bei der Fahne, der Mitleidsbonus wird größer sein als der Kanzlerbonus, nur Wechselwähler schwanken.“ Daß die SPD gewinnen könne, „liegt in der Luft, aber einen Erdrutsch wird es hier nicht geben“. Zur Bekräftigung seiner Wahlprognose setzt Hans Jensen den blauen Elbsegler auf. „Sach ich doch“, nickt der Freund. Jeden CDU–Skandal hätten die Schleswig–Holsteiner schnell vergessen. Besonders Frauen, so vermuten die zwei alleinreisenden Herren, „sehen jetzt vor allem den Verlust in der Familie Barschel“. Das scheint für ältere CDU–Wählerinnen - sie dominieren unter den Passagieren - zuzutreffen. Anni Petersen (65), mit Kreuzworträtseln beschäftigt, „tun besonders Frau Barschel und die Kinder leid“. Der sympathische Tote sei „zu labil gewesen für das schmutzige Geschäft“. Auch wenn an den „Geschichten wohl was dran ist, die Wahrheit kriegt keiner raus“. Sie, Anni Petersen, werde „immer wieder CDU wählen, die haben uns damals aus dem Dreck geholt“. Schlimm nur, „daß wir fürs Ausland so einen schlechten Eindruck machen. Von der Zone spricht ja keiner mehr“. Doch, der Mann, der seit Stunden den einarmigen Banditen mit Münzgeld füttert. Vor dreißig Jahren flüchtete der Deutsch–Nationale aus der eigenen Bäckerei in der Zone in die westliche Fabrik. Stechende Blicke unter den buschigen Augenbrauen unterstreichen den erhaltenen Kampfgeist des 75jährigen Ex–Stahlhelmers: „Es ist eine Erzschweinerei von allen, den gesamten Landtag sollte man einsperren. Pfeiffer zuerst.“ Auch wenn die CDU Barschel in der „schweren Stunde“ fallen gelassen hat - der gelbgerauchte Zeigefinger des früheren Industriebackmeisters nähert sich mir bedrohlich - „ich werde wieder CDU wählen. Jetzt erst recht. Eisern“. Daß Björn Engholm nicht zur Beerdigung von Barschel gegangen ist, stößt an den Tischen zwischen Schnitzel und panierter Scholle auf allgemeines Unverständnis. Der alte Stahlhelmer erinnert daran, „daß im Krieg auch keiner gefragt hat, ob wir mit Schnupfen kämpfen können“. Weniger militaristisch die Juristin: „Der Herzinfarkt seiner Mutter war vorgeschoben. Engholm hat die Chance verpaßt, ein Signal für den Neuanfang im menschlichen Umgang zu setzen“. Daher käme sie nicht auf die Idee, der Oppositionspartei eine Stimme zu geben. Unverändert auch die Ansicht der schweigend nebeneinandersitzenden Eheleute, die „seit zwanzig Jahren nicht wählen“. Grundsätzlich in der Mehrzahl– Form redend, erklärt der Gatte: „Barschel ist von hohen Tieren reingelegt worden. Das tut uns menschlich leid. Politisch interessiert es uns nicht.“ Nachdem die Ehefrau ergänzt hat: „Ich bin ganz der Meinung meines Mannes“, richten sich zwei Augenpaare wieder parallel auf die graue Ostsee. Die ließ das Schiff kurz schaukeln. Dann, wieder in der Kieler Förde, hat sich der Wind gelegt.

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