: Sandoz: Wie sich ein Konzern rhein–wäscht
„Das können Sie mit Geld wieder gutmachen.“ Mit dieser aufschlußreichen Formulierung knüpft mir eine Basler Polizeistreife satte 60 Fränkli ab - wegen unerlaubten Linksabbiegens, nachts um zwei. Von diesem landestypischen Lebensgrundsatz ließ sich offenbar auch die Sandoz– Konzernspitze bei der materiellen Bereinigung der Katastrophenfolgen leiten: Millionen wurden in eine großangelegte Informationsoffensive investiert, für Sicherheitsmaßnahmen ausgegeben und an Schadenersatz geleistet. Beim Schadenersatz kam der Konzern noch glimpflich davon: Von insgesamt 1.099 eingegangenen Schadenersatzforderungen wurden bisher bereits 761 erledigt, was etwa 70 Prozent aller Forderungen entspricht. Dabei zahlten der Konzern, beziehungsweise seine beiden Versicherungen „Winterthur“ (Forderungen aus der Schweiz und Frankreich) und „Gerling“ (Niederlande und Bundesrepublik) bisher 25,1 Mil lionen Franken. Das sind weit weniger als die direkt nach der Katastrophe vom Konzern veranschlagten 100 Millionen. Alle Forderungen wurden bisher aufgrund gegenseitiger Einigung beglichen. Durch eine unbürokratische Regelung der Schadenersatzforderungen will sich der Konzern unangenehme Prozesse ersparen. Schließlich konnte der Konzerngewinn im letzten Jahr bei 6,5 Prozent Umsatzrendite trotz ungünstiger Währungsentwicklungen um 2 Prozent auf 541 Millionen Franken gesteigert werden. Als Konsequenz aus der Katastrophe hat der Konzern sicherheitstechnisch mächtig nachgerüstet: Stolz präsentiert die Firma nun modernste Brandmelde– und Löschanlagen. Das neue Lagerkonzept sieht kleinere Einheiten und die Computerisierung der Bestände vor; die Risiko–Kategorien wurden von 4 auf 10 erhöht; rund 117 Produkte wurden angeblich aus dem Sortiment gestrichen; direkt neben dem Rhein buddeln die Bagger derzeit das Loch für ein 15.000 Kubikmeter fassendes Löschwasser–Rückhaltebecken. „Wir versichern Ihnen: Für die Si cherheit tun wir das Menschenmögliche“ verspricht eine große Stellwand im Werk Schweizerhalle Mitarbeitern und Besu chern. Als ob das in einer Risikobranche keine Selbstverständlichkeit wäre. Die Forderung nach einem grundsätzlichen Umdenken in Richtung einer „sanften Chemie“ hatte Konzernchef Marc Moret schon letztes Jahr mit seinem Schlagwort von der „besseren Chemie“ gekontert. Es ist mittlerweile zum Etikett und Leitbegriff der Sandoz–Propaganda geworden. Eine Tafel mit dem Slogan „Sandoz auf dem Weg zur besseren Chemie“ eröffnete auch im Unglückswerk Schweizerhalle einen psychologischen Trimm– Dich–Pfad über fünf Stationen, den alle Mitarbeiter dieser Tage durchliefen. Da plantschten quicklebendige Rheinfische in Aquarien (“werden nach der Ausstellung wieder ausgesetzt“) und Schrifttafeln erweckten geradezu den Eindruck, bei Sandoz handele es sich nicht um eine Chemie–Fabrik, sondern um ein Unternehmen zur Förderung ethischer Grundsätze in der Wirtschaft. Textprobe: „Es gilt der Grundsatz, daß eine Tätigkeit nur dann ausgeübt werden darf, wenn die notwendigen Maßnahmen gegen eine unzulässige Belastung der Umwelt getroffen worden sind.“ Oder: „Als oberster Grundsatz gilt künftig: Kein Wasser darf mehr unkontrolliert in den Rhein gelangen.“ Doch wer kontrolliert? Nach wie vor weigert sich Sandoz beharrlich, seine Abluft– und Abwasserwerte offenzulegen. Da müßten die anderen Unternehmen mitmachen, heißt es in der Chefetage. Ein Sandoz–Abwasserkanal führt jenseits der französischen Grenze in den Rhein, unterliegt mithin nicht mehr schweizerischen Bestimmungen. Einige Mitarbeiter rümpfen auf dem Info–Parcour die Nase. Nicht wegen solcher Widersprüche - sondern weil es in Schweizerhalle auch ein Jahr danach noch immer spürbar nach Mercaptan stinkt. Die Werksleitung bittet für die Geruchsbelästigung um Verständnis, heißt es auf einer anderen Tafel.
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