piwik no script img

I N T E R V I E W „Ergebnis eines gärenden Prozesses“

■ Interview mit Gerd Schneider, der als ehemaliges RAF–Mitglied nach zehn Jahren vorzeitig aus der Haft enlassen wurde / „Ein Zeichen, daß jetzt auch die Bundesanwaltschaft die Möglichkeiten des Gesetzes sieht“

Die beiden ehemaligen RAF–Mitglieder Christoph Wackernagel und Gerd Schneider werden auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft am 9.November nach Verbüßung von zwei Dritteln ihrer 15jährigen Haftstrafe nach zehn Jahren vorzeitig aus der Haft entlassen. In der taz hatten sie bereits 1984 ihren Abschied vom bewaffneten Kampf in ausführlichen Beiträgen begründet. Beide sind seit dem letzten Jahr bereits Freigänger. Mit Gerd Schneider, der gerade Hafturlaub hat, führten wir das folgende Telephoninterview. taz: Gerd Schneider, kam die Ankündigung eurer Haftentlassung am 9.November überraschend? Gerd Schneider: Zum Teil ja, jedenfalls habe ich jetzt während der Woche permanent mit der Anstaltsleitung telephoniert. Im Augenblick habe ich nämlich noch Hafturlaub - und bis Samstag früh war nichts von der Entlassung bekannt. Ich habe es dann abends in den Nachrichten gehört. Wie interpretierst Du die Tatsache, daß eure Entlassung ausgerechnet von der Bundesanwaltschaft beantragt wurde und auch der Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf sich davon überrascht zeigte? Ich kann mir nicht vorstellen, daß es den Strafsenat wirklich überrascht hat. Die Ent lassung ist Ergebnis eines Prozesses, der schon seit längerem gärt. Im übrigen hat sich nicht nur die Bundesanwaltschaft für unsere Entlassung ausgesprochen, sondern auch die Anstaltsleitung des Gefängnisses. Es mutet auf den ersten Blick schon etwas merkwürdig an, daß die Bundesanwaltschaft die Entlassung selbst beantragt hat. Aber ich sehe das als ein Zeichen dafür, daß auch bei der Bundesanwaltschaft die Möglichkeiten, die es vom Gesetz her gibt, genutzt werden um die Situation zu entspannen. Es war ja Rebmanns Position - zumindest in seinen Verlautbarungen - die Gefangenen aus der RAF im Grunde normal zu behandeln und das muß ja dann auch für die Beurteilung der Entlassung gelten. Es wird zwar immer gesagt, die Gefangenen aus der RAF werden als Kriminelle genauso behandelt wie andere, trotzdem sah ja und sieht zum Teil noch die Praxis anders aus. Siehst Du da bei der Bundesanwaltschaft auch ein Umdenken? Ich sehe da schon über die Zeit hin eine Veränderung. Wenn man an die Zeit um 1977 herum denkt, dann wäre es damals nicht so einfach möglich gewesen, entlassen zu werden. Inzwischen hat sich wohl auch in Karlsruhe die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Gruppen der RAF, die heute operieren, keine wirkliche Gefahr mehr sind. Ich denke, daß sich inzwischen sowohl bei der BAW als auch beim BKA die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß sie einen riesigen Apparat aufgebaut haben für eine Form, die sie für eine riesige Form von Kriminalität gehalten haben, der sie den Namen Terrorismus gegeben haben und nun merken sie, daß das eigentlich ganz liebe Bubis und Mädels sind. Die haben zwar mit Pistolen herumgeschossen, aber hätten eben auch von einem ganz normalen Amtsgericht verurteilt werden können. Das sind eben Sachen, die ansonsten permanent im Tagesgeschehen der Bundesrepublik passieren. Inzwischen sehen sie, daß der Aufwand in keinem Verhältnis zu den Ursachen und Vorfällen selber steht. Nach zehn Jahren aus dem Knast entlassen zu werden, das bringt ja neben aller Freude auch Probleme. Gibt es eigentlich Leute, die dir jetzt helfen? Was wirst du jetzt machen? Natürlich steht man auch vor einigen Problemen. Ich muß mir einen Job und eine Wohnung suchen. Außerdem will ich mein Fernstudium in Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie zu Ende machen. Ich habe eben in der Zeit, wo andere ihre Berufsausbildung machten, etwas anderes getan - um es einmal so zu sagen. Und das ist natürlich auch ein Problem für andere, die aus dem Knast kommen und im Grunde genommen keinen Beruf haben. Interview: Max T.Mehr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen