: In Nicaraguas Äther gibt es wenig Zensur
■ Viel wichtiger als bedrucktes Papier ist im Lande Sandinos das gesprochene Wort / Neben 20 staatlichen Radios gibt es ein halbes Dutzend Privatsender / In der Sendung „Contacto 620“ der offziellen Stimme Nicaraguas beklagen sich Hörer in Live–Sendungen über Bürokratie und Schlamperei von Behörden
Aus Managua Ralf Leonhard
Alles spricht von La Prensa, keiner von den wirklich unabhängigen Radios und Nachrichtenprogrammen in Nicaragua. Während das Kampfblatt der Rechtsopposition dank seiner Fürsprecher in aller Welt und heftiger Geldspritzen aus Washington zum Symbol der Freiheit in Nicaragua hochstilisiert wurde, haben kleine aber vielgehörte Sender schrittweise die Freiheit der Meinungsäußerung zurückerobert. Der Erzbischof zum Frühstück Als ob Journalismus in Lateinamerika einzig in den Printmedien stattfände. Viel wichtiger als bedrucktes Papier ist in diesen Breiten das gesprochene Wort, das auch den des Lesens unkundigen Bauern im hintersten Winkel der Republik erreicht. Nahezu jedenfalls. Auf der Landkarte, die Bosco Parrales, der Direktor des staatlichen Radioverbundes CORADEP, in seinem Büro hängen hat, gibt es ein paar blinde Flecken, die von keinem der 15 Sender in der Provinz abgedeckt werden. Diese dünn besiedelten Gebiete im entlegenen Urwald und Bergland werden nicht einmal von den aus Honduras sendenden Radios der Konterrevolutionäre erreicht. Im Juni berichtete das US– Nachrichtenmagazin Newsweek, daß Nicaraguas Kardinal Obando vom Geheimdienst CIA bezahlt worden sei. Noch bevor die Nachricht in Nicaragua von den offiziellen Medien zur Kenntnis genommen wurde, brachte die Morgensendung „El Pensamiento“ des Privatsenders Radio Noticias ihren Hörern eine telefonische Stellungnahme des Erzbischofs zum Frühstückskaffee. Als um die Jahresmitte in den Lagern des Hafens Corinto nicht abgeholte Waren in Millionenwerten zu verderben drohten, machte „El Pensamiento“ so lange den Skandal öffentlich, bis sich mehrere Ministerien bequemten, ihre Lieferungen abzuholen. „Ich habe gute Freunde sowohl in der Regierung als auch in der Opposition“, sagt Alan Tefel, der Direktor des beliebten Meinungsprogramms, der seine Kontaktleute manchmal um sechs Uhr früh aus dem Bett holt. Alan Tefel gehört zu den Männern, die sich mit weit weniger Publizität aber wohl mehr Courage als die Herausgeber von La Prensa um die Meinungsfreiheit in Nicaragua verdient gemacht haben. Seine morgendliche Nachrichtensendung „El pensamiento“ hat in einer jahrelangen Gratwanderung vorhandene Freiräume geschickt ausgedehnt. „Ein paar Mal haben sie uns für ein oder zwei Tage geschlossen, weil wir etwas veröffentlicht haben, was nicht genehm war“, erzählt der Veteran des Rundfunkjournalismus, der seit 18 Jahren sein Programm macht. Kritik am Wehrdienst war tabu Die Rundfunkzensur ist - außer für den erzkonservativen Kirchensender Radio Catolica - nie besonders streng gewesen. Tefel: „Gelegentlich riefen sie vom Innenministerium an und sagten: Berichtet über dieses oder jenes Ereignis nichts, bevor das offizielle Kommunique da ist.“ Kritik am Wehrdienst oder nicht autorisierte Berichte über Militäraktionen waren aber tabu. „Wir haben uns eine strenge Selbstzensur auferlegt, um nicht unter die Räder zu kommen“, berichtet Jose Esteban Quesada, der das Mittagsnachrichtenprogramm „Sucesos“, das von einem privaten Rundfunksender ausgestrahlt wird, leitet. Seit wenigen Wochen mischt sich die Zensurstelle nicht mehr ein. Der Friedensvertrag von Guatemala „hat konsolidiert, was wir bereits erobert hatten. Wir arbeiteten praktisch schon ohne Zensur“, sagt Quesada. Das im August von den fünf Präsidenten Zentralamerikas unterzeichnete Abkommen sieht die Herstellung völliger Pressefreiheit in allen Signatarstaaten vor. Nach der Verhängung des nationalen Notstandes im Jahre 1982 wurden alle privaten Nachrichtensendungen verboten. Die Wende kam mit der Wahlkampagne 1984. „Da mußten sie einige aufsperren lassen“, sagt Alan Tefel, der unter den ersten vier war, die wieder Nachrichten bringen durften. Heute ist die Zulassung eines neuen Nachrichtenprogramms eine rein bürokratische Angelegenheit: Man muß beim Innenministerium den Antrag stellen. Das trifft auch für den jüngst wieder freigegebenen Kirchensender Radio Catolica zu, der nur deswegen von der Zensurstelle gerügt wurde, weil er ein Nachrichtenprogramm ausstrahlen wollte, für das er noch keine eigene Bewilligung eingeholt hatte. Drei Kassettenrecorder und drei Schreibmaschinen Den Sandinisten wird häufig vorgeworfen, daß sie 22 private Nachrichtensender, die seinerzeit geschlossen wurden, nicht wieder zugelassen hätten. „Das ist reine Propaganda“, meint Jose Esteban Quesada, höchstens drei oder vier könnten aufmachen, wenn sie wollten. „Die meisten Direktoren der kleinen Programme sind außer Landes oder haben gar kein Interesse mehr. Viele sind bei der Konterrevolution gelandet. Die Programme sind Kleinstunternehmen, die mit der Person des Direktors stehen und fallen. „Sucesos“ hat ganze fünf Journalisten und zwei Sprecher. Die technische Infrastruktur paßt in einen Kofferraum: drei Kassettenrecorder und drei Schreibmaschinen. „Unsere Tonbandgeräte sind reiner Schrott“, klagt Alan Tefel, „wir sind bereit, Spenden entgegenzunehmen, wo immer sie herkommen. Solange sie nicht an Bedingungen geknüpft sind.“ Reich kann man mit den privaten Radios nicht werden. Die Sendezeit, die Gehälter und die Betriebskosten werden in der Regel knapp durch Werbeeinnahmen gedeckt. „Wir erwirtschaften regelmäßig ein Defizit“, sagt Quesada, der von seinem Einkommen als DPA–Korrespondent leben kann, „weil wir mehr Nachrichten als Werbung bringen.“ Unter Somoza war das noch anders, als es noch über 100 Radioprogramme gab. Alan Tefel spricht von der Zeit, bevor Somoza 1961 den ersten Fernsehkanal eröffnete, als der „goldenen Ära des nicaraguanischen Rundfunkjournalismus“. Die meisten brachten Musik und Werbung - genauso anspruchslos wie lukrativ. Mit dem Sturz der Diktatur im Jahr 1979 verschwanden zahlreiche Programme, die von Günstlingen des Generals betrieben wurden, von selber. Die zurückgelassenen Anlagen wurden vom revolutionären Staat übernommen. Privater Rundfunk ist heute eine Angelegenheit für Leute, die eine Berufung fühlen, denn der staatliche Rundfunk ist mit den Jahren anspruchsvoller geworden. Tefel: „Jeder Journalist hat es gern, wenn seine Arbeit zur Kenntnis genommen wird und etwas bewirkt.“ „Partizipatives Radio“ In der Morgensendung „Contacto 620“ des staatlichen Senders Stimme Nicaraguas können sich die Hörer über ineffiziente Verwaltung, korrupte Funktionäre, mangelhaften Transport und aufsässige Nachbarn beklagen. Manche Mißstände können mit einem Anruf, der live übertragen wird, erstaunlich einfach behoben werden. Dies hat schon zu Klagen geführt, daß die Moderatoren zu mächtig wären. Das Programm hat jedenfalls Erfolg und wird inzwischen sowohl im FSLN–eigenen Radio Sandino, als auch im Sender La Primerisima kopiert. Letzterer gehört dem staatlichen Radioverband CORADEP an, der insgesamt 19 Sender betreibt, vier davon in Managua und 15 in der Provinz. „Die haben wir alle von Somozisten geerbt, die das Land verlassen haben“, sagt Bosco Parrales, der Chef des Unternehmens. Seither wird im revolutionären Medienverband am „partizipativen Radio“ und am universellen Radiomachen gebastelt. Das Schwergewicht wird auf die Ausbildung der Leute in der Provinz gelegt, die gleichzeitig Reporter, Sprecher, Sekretär und Verwalter sein sollen. Parrales: „Auch die Sekretärinnen und Nachtwächter nehmen an den Schulungen teil.“ Den Hörern auf dem Land soll ein Programm geboten werden, das sich mit ihren Problemen und ihrer Situation befaßt. Deswegen wird an der Atlantikküste auch in Englisch und Miskito gesendet. Kommerzielle Programme hätten in der Provinz wenig Chancen. Bosco Parrales bezeichnet die Beziehungen zu den privaten Sendern als gut: „Wir helfen ihnen auch mal mit Ersatzteilen aus, wenn sie Probleme haben.“ Die neue Freiheit, die auch der rechtsextremen Opposition wieder die Gestaltung von Programmen ermöglicht, schreckt ihn nicht: „Wir haben jahrelang einen ideologischen Kampf mit den Untergrundsendern der Contras geführt. Jetzt werden wir diesen Kampf im Inneren austragen.“
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