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„Kein Betriebsunfall“

Mehrere hundert StudentInnen, Autonome und Startbahnkämpfer trafen sich am Dienstag abend in der Frankfurter Universität. Diskutiert werden sollten die tödlichen Schüsse an der Startbahn West und ihre politischen Konsequenzen. Wegen des großen Andrangs mußte zuerst einmal von der Uni–Kneipe KOZ in den traditionsreichen Hörsaal 6 umgezogen werden. Die Diskussion, die anfangs nur in kleinen aufgeregten Gruppen stattfand, lief nur schleppend an, wurde jedoch dann mit großer Intensität geführt. Nach einem Bericht über Festnahmen in Frankfurt, Hanau und Wiesbaden ging es nach einer halben Stunde ans Eingemachte. Ein junger Autonomer war aufgestanden und hatte gesagt: „Ich denke, daß ich mich von diesem Mord distanziere.“ Der fast einhellige Beifall gab anderen den Mut, ebenfalls das Wort zu ergreifen. Leute, die fähig seien, Menschen kaltblütig zu erschießen, sagte ein anderer, „die gehören auf die andere Seite!“ Immer wieder warnten Frauen und Männer davor, das Gesche hen zu verdrängen, zu spekulieren, wie es zu den Schüssen gekommen sei. Es genüge nicht, sich einzureden, da sei etwas „aus Versehen“ geschehen: „Das war kein Fehler. Das war eine politische Katastrophe.“ Ein anderer schimpfte auf die wenigen, die anderer Meinung waren: „Das Gelalle ist ja unerträglich, wenn Mord jetzt hier schon zum Betriebsunfall wird!“ Angst vor „Durchgeknallten“ Eindringlich versuchten Vertreter der studentischen Linken Liste klarzumachen, welche politischen Dimensionen die Polizistenmorde haben werden. Sie wiesen darauf hin, daß in dieser Atmosphäre der Angst und des Hasses, die gerade entstehe, sich niemand wundern dürfe, wenn „jetzt auf der nächsten Demo ein Durchgeknallter schießt“, gleich von welcher Seite. Die Folgen seien bisher nocht nicht zu überschauen, geschweige denn einzuschätzen. Auch die Vorstellung, daß jetzt die Häuser in der Hamburger Hafenstraße „mit der Maschinenpistole geräumt werden können“, löste Betroffenheit aus. Einer berichtete von der Angst, die er seit Montag habe. Die wolle er zusammen mit anderen „in den Griff bekommen“. Nach dieser Katastrophe sei es nur noch möglich, Schadensbegrenzung zu versuchen. Wenn jetzt die Atmosphäre eines zweiten „Deutschen Herbstes“ oder Schlimmeres entstehe, dann sei davon die ganze Linke betroffen. Probleme bereite ihm auch das Gefühl, das sich seit 24 Stunden in ihm breitmache: „Daß man mal wieder spürt, was für ein kleiner Scheißer man ist!“ Zahlreiche TeilnehmerInnen hatten sich schon zu Beginn dafür ausgesprochen, die Öffentlichkeit auf dieser und anderen Veranstaltungen zu suchen und ihre Diskussionen nicht so zu führen, „als hätten wir etwas zu verbergen“. Man wolle sich auch darum bemühen, in der Ablehnung der Tat einen „großen Konsens“ nicht nur in der Linken herzustellen. Und immer wieder betonten junge StartbahngegnerInnen, wie entsetzt sie gewesen seien und wie schwer es ihnen fiele, zu glauben, daß das „jemand aus unseren Reihen war“. In diesem Zusammenhang stellten auch einige DiskutantInnen Fragen, die bisher aus den Reihen der Autonomen nicht zu hören waren. Ob nicht die Zwillen vielleicht auch tödliche Waffen seien? Diese Überlegung stieß allerdings auf wenig Gegenliebe. Der Gedanke, über Sinn und Zweck der militanten Sonntagsspaziergänge an die Startbahn West nachzudenken, erhielt allerdings auch heftigen Beifall. Schwierigkeiten gab es, sich auf eine Formulierung zur Ablehnung der Morde zu einigen. Etliche Stimmen wandten sich gegen das Wort „Distanzierung“. Das sei etwas, was der Staat immer habe erzwingen wollen. Heide Platen

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