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Libanesisches Volk streikt gegen Regierung

■ Christen und Moslems folgen geschlossen dem Streikaufruf / Panikeinkäufe und Flucht in die Berge / Kaum Hoffnung auf Gesundung der Wirtschaft / Dollar wird zur alltäglichen Hauptwährung / Kein Ende der Streiks in Sicht

Aus Beirut Petra Groll

Ein friedlicher, grau verhangener und verregneter Freitagmorgen zieht über der libanesischen Hauptstadt auf. Kein hysterisches Hupen aus den stets blechverstopften Straßen, kein Motorenheulen einfliegender Verkehrsmaschinen scheucht die Bewohner des hauptsächlich moslemischen West–Beirut aus dem Schlaf, Windböen peitschen in unregelmäßigen Abständen Regenschauer gegen die Häuser. Wer nicht wirklich dringend auf die Straße muß, der geht auch nicht. Die Straßen sind wie leergefegt an diesem zweiten Tag des unbefristeten Generalstreiks, den der Dachverband der libanesischen Arbeiter (CGTL) ausgerufen hat, aus Protest gegen den haltlosen Verfall der Landeswährung, gegen die katastrophale Wirtschaftssituation und ganz einfach gegen das Ausbleiben politischer Schritte gegen drohende Verarmung und Hunger eines großen Bevölkerungsteils. „Der Streik wird zu 100 Prozent eingehalten, das libanesische Volk kämpft vereinigt für sein Brot“, verkündete am Freitag morgen Antoine Bishara, Chef der CGTL, die circa 300.000 Arbeiter in 60 Einzelsyndikaten in ganz Libanon organisiert. „Laßt uns gegen den langsamen Tod revoltieren, gegen den Krieg und die Kriegsherren rebellieren, laßt uns ihnen zeigen, daß das ganze libanesische Volk um sein Brot kämpft“, beschwor Bishara feierlich die Gewerkschafter des Landes. Bishara macht also sowohl das Regime wie auch die einzelnen Milizchefs Libanons verantwortlich für die tatsächlich katastrophale Wirtschaftssituation und galoppierende Inflation. Die rivalisierenden politischen Parteien versuchen freilich die CGTL ins jeweils eigene Lager zu ziehen. Die „Forces Libanaises“, die Einheitsmiliz der christlich– maronitischen Parteien und die Phalange–Partei erklärten denn auch, der Streik richte sich gegen den anhaltenden Boykott der moslemischen Minister gegen den maronitischen Staatspräsidenten Amin Gemayel. Der Boykott habe seit 1986 Kabinettstreffen verhindert und sei somit verantwortlich für das Scheitern jeden Versuchs zu wirtschaftlichen Reformen. Radio– und TV–Sender, die auch am Freitag fortlaufend über das Streikgeschehen informieren, berichten aus allen Landesteilen über die gleichen Bilder. Sogar in der von Israel besetzten „Sicherheitszone“ im äußersten Süden Libanons haben die Geschäfte größtenteils geschlossen. Nur Krankenhäuser, Apotheken und Bäckereien sind vom organisierten Ausstand ausgenommen. Vor den wenigen noch produ zierenden Bäckereien stehen teilweise mehr als 100 Menschen in Schlangen, fein säuberlich geschlechtsgetrennt, bis die ersten Plastikbeutel voll Fladenbrot im winzigen Türspalt sichtbar werden. Dann bricht das Chaos aus, Schlägereien ums Brot sind schon seit Wochen an der Tagesordnung. Die seit Donnerstag, dem ersten Streiktag, in allen Straßen postierten Truppen der „Forces Securite Interieure“ (FSI) sind schnell zur Stelle. Sie sollen verhindern, daß Unruhen ausbrechen, wie im September, als über den Dollarwechselkurs aufgebrachte Männer marodierend durch die Geschäftsstraßen zogen. Noch aber geht alles mit Flugblättern und ruhigen Worten. Ein Bäcker, der am Morgen trotz Streik seine Thymian–Pizza auf die Frühstückstische bringen will, schließt wieder, ohne zu maulen, gegen 10 Uhr. Selbst in dieser Nebenstraße bieten die Handwerksstuben und kleinen Läden eine Front: heruntergelassene Blechjalousien. Erst der Montag, da ist man sich einig, wird ein kritischer Tag. Die meisten Leute haben sich, auch wenn sie nicht vom Erfolg des Generalstreiks überzeugt sind, mit dem Gedanken an ein langes Wochenende angefreundet. Bereits am Mittwoch, dem Vorabend des Generalstreiks, stauten sich Hunderte von Autos vor den syrischen Checkpoints an den Ausfallstraßen, die Beirutis fuhren in den Süden oder in die Berge. Eine Verschnaufpause haben nach dieser Woche wohl auch viele Leute nötig. Seit Wochenanfang hatten die Versorgungskrisen gewöhnten Menschen die Lebensmittelläden und Supermärkte leergeräumt. Der Manager eines Supermarktes rechnete vor, daß seine Kundschaft allein am Mittwoch soviel gehamstert habe, wie eine Kleinstadt mit 60.000 Bewohnern in sechs Wochen konsumiert. Die Regale der Supermärkte strotzen hauptsächlich von Leere. Die Einkaufspraxis ist von Tag zu Tag absurder geworden. Eine Frau, die sage und schreibe 45 Pakete einer bekannten Seifenmarke in ihren Korb gepackt hatte, erklärte, sie sorge auch für die Zeit nach dem Streik vor, wenn es sich niemand im Libanon mehr leisten könnte, importierte Produkte zu bezahlen. Vor allem, wenn die Läden die Summe in US–Dollar verlangen, was zwar illegal ist, aber einfacher, da alle Preise nach dem täglichen Wechselkurs des US– Dollar berechnet werden. Bedenkt man, daß mehr als 90 Prozent aller Konsumgüter nach Libanon importiert werden, verspricht die Zukunft magere Zeiten, es sei denn, der Katastrophe könnte Einhalt geboten werden. „Nein“, sagt die Frau, an einen Erfolg des Generalstreiks glaubt sie nicht. „Zwar ist es ein schönes Zeichen, wenn im ganzen Land die Leute zusammenhalten“, findet sie, „aber die Dollar–Mafia, die Brot–Mafia und alle, die bislang an unserem Blut verdient haben, werden sich nicht drum scheren und die Politiker und Kriegsherren tun das schon seit 12 Jahren nicht mehr.“

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