Unions–Länder rüsten für Landfrieden

■ Innenministerkonferenz spricht sich für Vermummungsverbot und alten Landfriedensbruch–Paragraphen aus / Wurde der Verdächtigte zuvor observiert? / Verhafteter macht Einlassungen / Weitere Durchsuchungen angekündigt / Fischer gegen Sympathisantenhetze

Von unseren Korrespondenten

Bonn/Frankfurt/Wiesbaden (taz) - Einen überraschend klaren Beschluß haben die Innenminister der Länder auf ihrer gestrigen Sondersitzung in Bonn gefaßt: „Die Mehrheit der Innenminister und -senatoren unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, die Novellierung des Versammlungsrechts, des Vermummungsverbots sowie des Landfriedensbruchs herbeizuführen.“ Bemerkenswert ist, daß die Minderheit lediglich aus den ausschließlich von der SPD regierten Bundeslän dern Bremen, Saarland und Nordrhein–Westfalen und dem sozialliberal regierten Hamburg bestand. Auch die CDU/FDP–regierten Bundesländer Berlin, Niedersachsen und Hessen stellen sich damit gegen die Position der Bundes–FDP, was vor allem bezüglich der Verschärfung des Landfriedensbruch–Tatbestandes ungewöhnlich ist. Für die Minderheit der Bundesländer erklärte NRW–Innenminister Schnoor, man habe vor so einer Beschlußfassung erst den endgültigen Bericht Hessens abwarten wollen. Allerdings seien auch die SPD–regierten Bundesländer immer bereit, ihre Positionen zu überdenken. Fortsetzung auf Sei– te 2 Kom– men– tar S.4 Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Niedersachsens Innenminister Hasselmann (CDU), erklärte, daß er wegen der gesetzlichen Maßnahmen in Kontakt mit der Bundesregierung bleibe und vor der Beschlußfassung des Kabinetts, die am 2. Dezember geplant sei, eine weitere Sonderkonferenz nach Bonn einberufen könne. Zusätzlich hat die Inneministerkonferenz einmütig die Einführung von Distanzwaffen wieder in die Diskussion gebracht, sich allerdings nicht konkret zum Einsatz von Gummigeschossen geäußert. Auch zur Aufstellung von Greiftrupps und dem Einsatz der GSG 9 gegen DemonstrantInnen sind keine konkreten Beschlüsse gefaßt worden - allerdings wollen einzelne Länder wie Niedersachsen hier vorpreschen. Wilfried Hasselmann wandte sich in einer Stellungnahme gegen das Argument, die Polizei müsse die schon vorhandenen Mittel und Gesetze nur besser einsetzen. Das führe lediglich zu Gerichtsverfahren gegen Polizeibeamte oder sogar Suspendierungen, wie sich im Fall des Hamburger Kessels zeige. Diese Prozesse verunsicherten die Polizei und brächten sie dazu, zögerlicher zu handeln. Um das zu verhindern, seien die neuen Gesetze notwendig. Im Beschluß der Konferenz wird der Bevölkerung für ihre in den letzten Tagen bekundete „Solidarität mit der Polizei“ gedankt. In dem Zusammenhang wird auch verlangt, man müsse „die Nichtstörer unfriedlicher Demonstrationen veranlassen, den Gewalttätern ihren Schutz zu entziehen“. Bundesinnenminister Zimmermann, der mit den Beschlüssen sehr zufrieden zu sein schien, kündigte außerdem an, es solle einen regelmäßigen Lagebericht über gewalttätige Demonstrationen in der BRD geben, den der Bund gerne koordinieren werde. Während in Bonn bereits Gesetzesverschärfungen beschlossen wurden, hinterließ der hessische Innenminister in einer Sitzung des Innenausschusses in Wiesbaden am Freitag nachmittag einen schlechten Eindruck. Der Einsatz der Polizei bei der Startbahn–Demo am Montag abend sei schludrig vorbereitet gewesen. Kenner des Demo–Geschehens meinten, die Hundertschaft der Polizei sei regelrecht verheizt worden. Unverständnis wurde auch darüber laut, daß trotz klarer Beobachtung von Landfriedensbruch die Veranstaltung nach dem Versammlungsgesetz und nicht wegen Landfriedensbruch aufgelöst wurde. Zu der in der Frankfurter Rundschau aufgeworfenen Frage, ob der vermeintliche Mörder der Polizisten im unmittelbaren Vorfeld des Montags observiert worden sei, hieß es lediglich, hessischen Dienststellen sei nichts dergleichen bekannt gewesen. Zu jeder Frage darüber hinaus wurde eine Antwort verweigert. Dazu hatte Hessens grüner Fraktionschef Fischer zuvor auf einer Pressekonferenz in Wiesbaden vier Fragen gestellt: „Wie nahe waren die Sicherheitsbehörden am möglichen Täter dran? Seit wann wußten sie, daß er im Besitz einer Pistole war? Welche Maßnahmen wurden diesbezüglich getroffen oder unterlassen? Hätte die Tat durch eine zutreffende Lage–Einschätzung verhindert werden können?“ Fischer wandte sich gegen die Politik der „zähnefletschenden Gesetzesverschärfer“ in Bonn und Wiesbaden, die den Tod der beiden Polizeibeamten an der Frankfurter Startbahn West zur „Befriedigung der altbekannten rechten Vorurteile“ benutzen wollten. Ausdrücklich widersprach Fischer allen Versuchen, Jutta Ditfurth, deren Thesen vom Staat, der den Terror brauche, er nicht teile, nun als Vorbereiterin der tödlichen Schüsse zu denunzieren. Angesichts des „Geifers der Sympathisantenhetze“ erklärte er seine „ungebrochene Solidarität“ mit allen, die in eine Ecke mit den Morden gestellt würden. In Baden–Württemberg riefen die Grünen zu einer Kundgebung unter der Parole „Für die gewaltfreie politische Auseinandersetzung“ am Samstag auf dem Stuttgarter Schloßplatz um 16 Uhr auf. Die Anwältin des am Mittwoch abend wieder freigelassenen Mannes, der am gleichen Tag im Zusammenhang mit den Polizistenmorden an der Startbahn West festgenommen worden war, teilte gestern mit, ihr Mandant sei „wegen Verdachts des Mordes an Polizeibeamten“ festgenommen worden. Dies sei geschehen, nachdem der tatverdächtige Andreas Eichler eine dreistündige „Erklärung“ abgegeben habe. Frankfurter Rechtsanwälte kritisierten gestern vormittag gegenüber der taz das Vorgehen der Polizei, die doch im Ernst nicht vorhaben könne, nach und nach mehrere hundert DemonstrantInnen festnehmen zu lassen, statt sie als Zeugen vorzuladen. Der Sprecher der Bundesanwaltschaft Prechtel sagte dazu, er gehe davon aus, daß die Schüsse an der Startbahn von den Demonstranten geplant gewesen seien. Dafür spreche sowohl das von Beamten gehörte Feuer–Kommando als auch die Tatsache, daß die Schüsse „quasi gleichzeitig“ fielen, als ein Hagel von Feuerwerkskörpern und Stahlkugeln auf die Beamten niederging. Prechtel versicherte aber, daß er nicht vorhabe, alle Demonstranten, derer die Ermittler habhaft werden können, mit dem „dicken Kaliber“ Mordvorwurf zu konfrontieren. Mit „der einen oder anderen Festnahme“ sei aber noch zu rechnen. Auch die Pressesprecherin des LKA Hessen, Lenz, stellte weitere Hausdurchsuchungen und Festnahmen in Aussicht. Zu der langen Aussage des Andreas Eichler erklärte Prechtel, Eichler habe „Angaben“ gemacht, aber kein Geständnis abgelegt. Er habe „nicht abgestritten, daß er die Waffe in seine Wohnung gebracht“ habe. Es sei während des Gesprächs nicht nur über die Tat geredet worden. Hessen will die Festnahmezüge der Polizei nun verstärken. Heide Platen aus Frankfurt Reinhard Mohr aus Wiesbaden Oliver Tolmein aus Bonn