Mit der Börse auf Du und Du: Vom Regen in die Traufe
■ Nach dem Aktienkrach jetzt eine Währungskrise?
Gemäß Leigh Pemberton, einem ehemaligen Gouverneur der Bank von England, besteht die wichtigste Fähigkeit eines Zentralbankiers darin, Vertrauen auszustrahlen, ohne definitiv zu lügen. Was sich gegenwärtig an den Devisenmärkten der Welt, insbesondere rund um den Dollar abspielt, zeugt nicht von dieser Qualifikation. Erstens zeigt sich zum wiederholten Male, daß Notenbanken auf Dauer nicht erfolgreich gegen den Markt operieren können. Sie konnten die Freigabe des Goldpreises nicht verhindern, sie konnten die im Währungsabkommen vom 18.12. 1971 festgesetzten Paritäten für die wichtigsten Währungen nicht verteidigen, sie müssen jetzt machtlos dem freien Fall des Dollar zusehen. Zweitens ist die Dollarpolitik der Vereinigten Staaten nicht ein Indiz für gerade jetzt dringend notwendige Kooperation, sondern der Versuch der Amerikaner, ihre Probleme zulasten der übrigen westlichen Welt zu lösen - nach dem Aktienkrach sogar mit Platzvorteil. Vor dem Börsenkrach hätte ein stärkerer Dollarkursrückgang eine Verstärkung der bereits erkennbar im Steigen begriffenen Inflationserwartungen bewirkt, die über steigende Kapitalmarktzinsen das Land in eine Rezession geführt hätten. Nach dem Crash mit seinen gerade in den USA starken deflatorischen Folgen muß die Dollarabwertung nicht sofort inflationär wirken. Sie könnte für einen gewissen Zeitraum die deflatorischen Folgen des Aktienkrachs abmildern bzw. kompensieren und so eine vor den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr unerwünschte Rezession verhindern. Für den Rest der Welt - ohne den Ostblock - sind die Folgen schlimmer. Insofern zeigt der besonders drastische Kursverfall an den asiatischen Börsen Hongkong, Taiwan, Singapur, Südkorea und Australien nur die größere Abhängigkeit dieser Länder bezüglich ihrer Exporte in die USA. Vor allem stellt sich die Frage, wie lange sich Tokio noch den Gesetzen der Schwerkraft entziehen kann. In Europa, vor allem aber in der europäischen Gemeinschaft, ist die Exportabhängigkeit von den USA zwar geringer, die negativen Folgen des Crashs werden durch die Dollarabwertung aber ganz klar verstärkt. Drittens müßten, um das für die Märkte gerade jetzt notwendige Vertrauen wiederherzustellen, dringend fiskalpolitische Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehört zu allererst ein glaubwürdiger Vorschlag zu einer kräftigen Reduzierung des amerikanischen Haushaltsdefizits. Auf der Basis eines solchen Vorschlags könnte sich dann die entscheidende Gruppe der wichtigsten westlichen Industrienationen, die G7–Länder, treffen und ihrerseits Maßnahmen beschließen, die insbesondere auch das europäische Wachstum beschleunigen könnten. Der deutsche Beitrag zu einem solchen Paket wäre das Vorziehen der für 1989 geplanten Steuerreform und die vorübergehende Erhöhung der Staatsverschuldung. Je länger die Politiker für solche vertrauensbildenden Maßnahmen brauchen, desto chaotischer werden sich die Aktien– und Devisenmärkte entwickeln. Heinz L. Poulev Heinz L. Poulev, Chef der Depot–Management–Beratung in Frankfurt, beleuchtet für die taz die Börsenszene der Turbulenzzeit. McCASH FLOWS ORAKEL
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