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„Nicht immer nur Stahl, Stahl, Stahl sagen“

■ Stahlkongreß der bayerischen Grünen in Sulzbach–Rosenberg / Umbauprogramm für die Maxhütte und die Oberpfalz / Strukturdaten der Region „unterhalb der kritischen Masse“ / Systematische Ausblutung zugunsten der Metropole München / Das Arbeitsplatzargument: Erpressung mit der WAA

von Bernd Siegler

„Bayern ist attraktiv. Alljährlich wächst die Bevölkerung in Bayern um rund 20.000 Einwohner durch Wanderungsgewinne gegenüber anderen Bundesländern. Bayerns Wirtschaft hat sich gut entwickelt.“ Die Worte von Alfred Dick, Minister für Landesentwicklung und Umweltfragen, im Vorwort der im März 1986 vorgelegten Broschüre „Bayern regional 2.000“ müssen den Oberpfälzern wie Hohn in den Ohren klingen. Hat die Region doch schon jetzt die höchste Arbeitslosen– und Fernpendlerquote im Freistaat und ist mit 97 Einwohnern pro Quadratkilometer das am dünnsten besiedelte Gebiet der Bundesrepublik. Die drohende Pleite der in Konkurs befindlichen Maxhütte, dem größten Arbeitgeber der Oberpfalz, ist noch gar nicht berücksichtigt. Grund genug für die bayerischen Grünen, den Versuch zu starten, das auf der Bundesversammlung 1986 in Nürnberg beschlossene Programm „Umbau der Industriegesellschaft“ in der Region Oberpfalz im Detail zu entwickeln. Der „Stahlkongreß“ in Sulzbach–Rosenberg vom vergangenen Wochenende sollte dazu der Anfang sein. 30 Referenten aus Forschung, Gewerkschaft und Politik diskutierten zwei Tage lang in der Stadt, deren Arbeitslosenquote nach Realisierung der Maxhütte–Pläne des Freistaats von derzeit 15 Prozent auf 32,2 Prozent hochschnellen würde. Sogar örtliche Gewerkschaftsvertreter überwanden ihre Berührungsängste und nahmen am Kongreß teil. In „Bayern regional 2.000“ geizt Minister Dick nicht mit Lob für sich selbst: „Diese positive Bilanz ist das Ergebnis einer den Strukturwandel begünstigenden Politik, zu der auch die Landesentwicklungs– und Umweltpolitik einen erheblichen Beitrag geleistet hat.“ Gerade diese Studie dokumentiert jedoch schwarz auf weiß, daß der Abstieg der Oberpfalz erst begonnen hat. Die Zahl der Einwohner in dieser Region wird trotz einer Zunahme der Ausländerzahl bis zum Jahr 2000 noch einmal um 4,9 Prozent bis 7,9 Prozent abnehmen. Ebenfalls über dem Landesdurchschnitt liegt der Rückgang des Arbeitsplatzangebots. Im Jahr 2000 wird es günstigstenfalls 4.600, schlimmstenfalls gar 12.400 Arbeitsplätze weniger als 1981 geben. In diesen Nettozahlen sind etwaige Neuansiedlungen von Betrieben bereits berücksichtigt. Das Zauberwort des Umweltministers zur Lösung der Strukturprobleme lautet „Wiederaufbereitungsanlage“. Dick verspricht sich davon insgesamt 3.000 Arbeitsplätze. „Die Erpressung mit der WAA geht also weiter“, kommentiert der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Daniels auf dem Stahlkongreß diese Entwicklung. „Die Region soll weiter ausbluten, um die Akzeptanz der Wiederaufbereitungsanlage zu erhöhen und den Widerstand auszuhöhlen.“ Raimund Kamm, grüner Landtagsabgeordneter, wirft denn auch der bayerischen Staatsregierung eine „katastrophale Grenzlandpolitik“ vor. Das Dilemma der Oberpfalz sei die Folge von „jahrzehntelanger verfehlter Regionalpolitik, die zu einer Stahlmonokultur geführt hat“. Höchste Zeit also, so die Grünen, die Region „ökologisch, sozial und demokratisch“ umzubauen, eine „Antwort auf die Ideologie der Sachzwänge“ (Umbauprogramm) zu liefern. Die Oberpfalz ist untrennbar mit der Maxhütte verbunden. 1986 vergab das Stahlwerk allein an Firmen im Umkreis von 100 Kilometer Aufträge im Volumen von 200 Millionen Mark. Ein Strukturplan für die Region müsse daher - so die Grünen - auf der Produktion der Maxhütte aufbauen und ihr einen gewissen Absatz sichern. Die bisherigen Grenzland– und Investitionsförderungen seien zu wenig und griffen zu kurz. „Wir können angesichts der Stahlkrise nicht immer nur Stahl, Stahl, Stahl sagen“, betont Raimund Kamm. Für den Umbau der Maxhütte orientieren sich die Grünen an dem Konzept des Instituts für Medienforschung und Urbanistik (IMU). Mit dem Einsatz von 400 Millionen Mark, der Preis von vier Tornado–Kampfflugzeugen, könnten demnach mindestens 3.500 Arbeitsplätze erhalten werden. Neben der bisherigen Produktpalette soll sich die „Maxhütte–Neu“ dem Rohstoffrecycling, sprich der Schrottverarbeitung zuwenden. Als neue Erzeugnisse sind der Bau von Katalysatoren, die Fertigung von Anlagen zur Rauchgasentschwefelung, Müllsortierung oder Solarzellen im Gespräch. Aus der Abfallschlacke könnte Material zur Wärmedämmung produziert werden. Um damit die Häuser von Sulzbach–Rosenberg auszustatten, könnten allein 150 Arbeits plätze auf zehn Jahre gesichert werden. „Angesichts der weltweit stagnierenden Nachfrage hat Stahl als klassischer Massenstahl, z.B. als Betonstahl, keine Zukunft“, lautet das Expertenresümee des Kongresses. Die Chance liegt vielmehr im Bereich der Verbundwerkstoffe, in Spezialstahlen, die im Zuge der Werkstoffwissenschaften entwickelt werden müßten. Die Grünen fordern daher, durch qualitative Produktverbesserungen die Maxhütte wieder konkurrenzfähig zu machen und die Herstellung zu ökologisieren, d.h. im Energieverbund zu produzieren und die Abfallwärme zu nutzen. Bereits jetzt werden Teile von Sulzbach–Rosenberg mit Fernwärme versorgt. Angesichts dieser Umbaukonzepte kommt dem Berufsbildungszentrum der Maxhütte ein enormes Gewicht zu. Das BBZ ist derzeit mit 300 Plätzen der größte privatwirtschaftliche Ausbilder in der Region und soll nach dem Willen der Staatsregierung geschlossen werden. Die Grünen fordern im Falle der Schließung der Maxhütte eine Übernahme des BBZ durch die Kommunen. Das BBZ soll dann nicht nur für die Erstausbildung zuständig sein, sondern vor allem für die Umschulung der Stahlwerker und Weiterqualifikation der Arbeitslosen. Die Konzepte der bayerischen Staatsregierung lehnen die Grünen ab - sowohl die Vorschläge eines Ministahlwerks des Züricher Ingenierbüros Hajek mit 1.000 Arbeitsplätzen, als auch den Plan der sogenannten Firmen der „Nordschiene“ mit 1.500 Arbeitsplätzen. Dieses vor zwei Wochen beschlossene Konzept nennt Kamm angesichts der harten Bedingungen einen „unmoralischen Erpressungsversuch“. Der Maxhütte werden darin die Installation von modernen Elektro–Öfen verwehrt, das Walzwerk Haidhof mit 750 Arbeitsplätzen würde geschlossen werden und die Maxhütte–Neu dürfe nicht der Montanmitbestimmung unterliegen. „Sogar den Segen der Arbeitnehmervertreter wollen sie als Bedingung für dieses Konzept“, empört sich Kamm. „Wichtige Impulse setzen in Richtung Umbau der Region“, nennt Eberhard Petri, Mitarbeiter der Landtagsfraktion, das Ziel des Kongresses. Auf kurzfristige Rezepte angesprochen, müssen die Grünen mit Achselzucken reagieren. „Wir haben es nicht in den Händen“, betont Kamm.

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