I N T E R V I E W Manila - „In diesem Land ist niemand mehr sicher“

■ Der philippinische Guerilla–Krieg hat nun auch Manila erreicht / Eskalation durch Polizeirepression und Bürgerwehren / Hexenjagd auf Progressive

Seit die Kommandos der NPA auch in Manila selbst ihre Aktionen durchführen und die Polizei mit Razzien in Armenvierteln und Universitäten antwortet, entwickelt sich mit Unterstützung durch Politiker wie Vizepräsident Laurel, obskure religiöse Sekten und internationale Vereinigungen wie die Mun–Gruppierung „Causa International“ eine antikommunistische Hysterie, die unterschiedslos Menschenrechtsanwälte, kirchliche Basisgruppen, progressive Demokraten und legale linksgerichtete Organisationen als „Volksfeinde“ denunziert. Während eines Trauerzuges von Polizeibeamten für einen von einem NPA– Kommando getöteten Polizeioffizier wurden Plakate mitgeführt, auf denen zur Ermordung prominenter Personen aus dem progressiv–linken Spektrum aufgerufen wurde. Auf einen von ihnen, den Präsidenten der staatlichen „Polytechnic University of the Philippines“, Dr. Nemesio Prudente, wurde am Montag ein Attentat verübt, bei dem ein Begleiter getötet, zwei an dere und er selbst durch mehrere Kugeln verletzt wurden. 24 Stunden zuvor hatte die taz mit Dr. Prudente gesprochen. taz: Fühlen Sie sich nach den beiden Razzien in ihrer Universität noch sicher? Prudente: Ich denke, daß niemand in diesem Land mehr sicher ist. Sogar Prominente wie Sie? Ich nehme es an. Natürlich schließe ich hohe Bürokraten und Industrielle aus, aber jemand wie ich kann inzwischen ebenso leicht wie ein Bauer oder Arbeiter bedroht werden. Ich hoffe, daß die kontitutionelle Demokratie dennoch überlebt und sich festigen kann, das wird zu einem großen Teil von der Präsidentin abhängen. Wie gingen die Sicherheitskräfte vor? Sie kamen hierher wie eine Invasionstruppe, eine Besatzungsarmee. Sie entwaffeneten unsere Wachmänner am Tor und erlaubten uns keine Kontaktaufnahme nach außen. Wir dachten erst, es seien rebellierende Soldaten unter Oberst Honasan, bis wir klären konnten, daß es sich um reguläre Einheiten handelte. Die Polizei von Manila hat den „städtischen Terroristen“ den Krieg erklärt. Warum befinden Sie sich offensichtlich mit an der Spitze der Liste? Sind sie Kommunist oder wenigstens ein Unterstützer der Stadtguerilleros? Schließlich wurden in Ihrer Toilette Handgranaten gefunden. Die Granaten wurden von der Polizei „gepflanzt“. Ich bezweifle, ob ich mich für eine Aufnahme in die Kommunistische Partei qualifizieren könnte. Als Verfechter von Menschenrechten, Demokrat und auch als Christ bin ich jedoch äußerst beunruhigt über die aktuelle Situation, und dazu nehme ich öffentlich Stellung. Was halten Sie von der landesweiten Gründung von antikommunistischen Bürgerwehren? Dieser Ansatz ist völlig verfehlt. Der Aufstand der NPA läßt sich nur beenden, indem wir die Ursachen ihres Kampfes wie Armut und soziale Ungerechtigkeit lösen. Mit den Bürgerwehren könnte ein Monster geschaffen werden, weil sie kaum ausgebildet, keiner Organisation verantwortlich sind und potentiell ihre Waffen mißbrauchen. Ist der Bürgerkrieg noch zu verhindern? Die Zeitungen sind jetzt schon voll von Berichten über Gefechte zwischen NPA und Bürgerwehren. Wenn die Bürgerwehren sich organisieren, weitere Waffen beschaffen und ihre Übergriffe zunehmen, könnte diese Situation eintreten. Ein Weg, die verarmte Stadtbevölkerung zur NPA zu treiben, ist die verstärkte Verfolgung durch das Militär. Wir hoffen, daß die Regierung die Problematik erkennt und eine weitere Polarisierung der Kräfte verhindert. Das politische Zentrum ist bereits dezimiert. Wir könnten uns bald in einer Situation wie im Libanon wiederfinden. Die Lage ist schon jetzt verwirrend genug. Sie könnte zu einer allgemeinen Schlächterei führen. Das Interview führte Gebhard Körte FORTSETZUNGEN VON SEITE 1