: Die ungehörten Lehren der Reispflanze
■ Bis zum 26.November tagt in Rom die Welternährungsorganisation / Ungetrübter Glaube an Entwicklung durch Produktionssteigerung / Politisch bleibt die FAO ein Zwerg / Immer weniger Länder können sich selbst ernähren / Modernisierungspolitik mitverantwortlich für Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts
Von Thomas Prinz
Zwischen dem Circo Massimo und den Thermen des römischen Kaisers Caracalla befindet sich die Zentrale der FAO. Zwar kann sie nicht mit der Größe dieser beiden antiken Anlagen konkurrieren, doch sie ist immerhin die größte Sonderorganistion der Vereinten Nationen. Am 16.Oktober 1945 wurde sie in Quebec/Kanada begründet, um sich der Beseitigung des Hungers in der Welt zu widmen. Hunger schien nach dem Zweiten Weltkrieg ein zeitbedingtes Problem, hervorgerufen durch Krieg und Zerstörung. Der Zweiten Weltkrieg hatte doch gerade bewiesen, wie gefährlich übertriebener Nationalismus sein konnte und wie wichtig es war, dem die gemeinsame Verantwortung einer Staatengemeinschaft entgegenzustellen. Was lag näher, als aus diesen Erfahrungen auch für das Problem des Hungers eine internationale Strategie abzuleiten. Es begann die Zeit der Weltorganisationen und Weltkonferenzen. Ob Handels–, Ernährungs– oder Gesundheitsprobleme, sie alle wurden zu Welthandels–, Welternährungs– und Weltgesundheitsproblemen. Die Strategie hieß Zentralisierung, und von ihr erhoffte man sich schnelle Erfolge. So war der erste Generaldirektor der FAO, der Engländer John Boyd Orr, denn auch der Meinung, die Schwierigkeiten, die man im Kampf gegen den Hunger zu überwinden habe, seien kleiner als jene, die man im Krieg gegen den Faschismus überwunden habe. Der Beginn der „Hilfe“ Zunächst schien die Entwicklung der Nahrungsmittelproduktion diese Erwartungen zu bestätigen: Bereits 1952 war der Vorkriegsstand erreicht. Der Produktionszuwachs hatte jedoch vor allem in Europa und Nordamerika stattge funden. Entsprechend der Logik der Internationalisierung und Zentralisierung von Politik schloß man daraus, daß die Überflüsse der einen Region nur in die Mangelgebiete anderer Regionen transportiert werden müßten. Langfristig sollten die Mangelregionen dann die Entwicklung der Überflußgebiete nachholen. Doch der Erfolg trat nicht ein. Erhielten Anfang der 50er Jahre einzelne Gebiete Nahrungsmittelhilfe, so sind heute ganze Staaten, ja sogar Weltregionen von dieser Hilfe abhängig. Die Möglichkeit zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln ist in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara auf 85 Prozent gesunken. Im Jahre 2000, so schätzt die FAO, wird die Selbstversorgung nur noch zu 56 Prozent möglich sein. Die Zahl der Hungernden wächst ständig. Dinosaurier mit modernistischen Ideen Auch die FAO hat sich seit ihrer Gründung verändert. Sie ist eine Mammutorganisation geworden, in der derzeit 158 Staaten Mitglied sind. Alleine in Rom beschäftigt sie 3.500 Mitarbeiter, die Projekte ausarbeiten, Projektanträge bearbeiten, Finanziers für Projekte vermitteln, die internationalen Agrarmärkte beobachten und Regierungen Ratschläge geben. Hinzu kommen noch einmal 3.500 Mitarbeiter in den 2.500 Projekten der FAO sowie als Berater in den Agrarministerien der Regierungen der Dritten Welt. Nicht verändert hat sich dagegen seit der Gründungszeit der FAO der ungebrochene Glaube an die Internationalität des Hungerproblems und die Folgerung daraus, dieses Problem sei durch eine zentral gesteuerte Politik zu lösen. Entsprechend vergeht nicht ein Tag, an dem nicht eine von der FAO einberufene Weltfischerei–, Weltsisal–, Weltteekonferenz usw. stattfindet. Fragt man heute in der Chefetage der FAO, warum denn alles so viel schwieriger ist als ursprünglich angenommen, so erhält man erstaunliche Antworten. Die einzelnen Regierungen würden eine vernünftige Politik durch ihre nationale Gesetzgebung immer wieder verhindern. Der für Information zuständige Direktor der FAO nennt als Beispiel das US–Agrargesetz von 1985, dessen Ziel die Erschließung neuer Absatzmärkte für amerikanische Agrarprodukte durch Dumpingpriese sei. „Damit werden Anbieter aus der Dritten Welt entmutigt und schrauben ihre eigene Produktion zurück.“ Doch Protektionismus und Dumping fallen nicht in den Zuständigkeitsbereich der FAO, sondern in den der Welthandelskonferenzen UNCTAD und GATT. Man kümmert sich um den Speisewagen. Die Fahrtrichtung des Zuges wird von anderen bestimmt. Der Reis in Bangladesch Und doch: Ist es nicht eine sinnvolle Arbeit, wenn die FAO versucht, die Reisproduktion in einem Distrikt in Bangladesch durch die Einführung neuer Reissorten, sogenannter Hochertragssorten, zu fördern? Für Kritiker wie den Kasseler Agrarexperten Sigmar Groeneveld beginnt hier bereits eine falsche Politik. Das Delta des Ganges, wo sich das Staatsgebiet von Bangladesch befindet, ist das Entwicklungsgebiet der Reispflanze. Mehrere hundert unterschiedliche Arten sind hier entstanden - optimal angepaßt an gerade den Flecken Boden, auf dem sie wachsen. Es gibt Reissorten, die sich bei Überschwemmungen entwurzeln, im Wasser treiben und nach dem Sinken des Wasserspiegels sich wieder im Boden festkrallen. Ein Bauer hier weiß genau, wie er mit diesen Pflanzen umzugehen hat. Seit die Experten der internationalen Landwirtschaft erkannt haben, daß ein solcher Bauer nur die halbe Menge Reis im Vergleich mit einem japanischen Bauern erntet, gilt er als unterentwickelt. Mit neuen Sorten wollen die Experten seiner Unterentwicklung abhelfen. Diese Sorten werden künstlich gezüchtet - es sind „Weltwirtschaftspflanzen“. Seit Jahren verdrängen sie die lokalen Sorten auf der ganzen Welt und haben bereits zum Aussterben einiger Sorten geführt. Die Bauern werden von Wissenden zu Unterentwickelten. Sie werden bedürftig: nach dem Rat der Experten, nach Krediten und nach Maschinen aus Industrieländern. Erst durch die neuen, nicht angepaßten Sorten wird die Überschwemmung zur Überschwemmungskatastrophe, weil sie die Weltwirtschaftspflanze und damit die Existenz des Bauern vernichtet. In den Konferenzsälen Roms fehlt es an Verständnis dafür, daß das Leben in einem bengalischen Dorf nicht auf Expansion, sondern auf Pflege und Anbau zum Zweck des Überlebens in einer schwierigen Umwelt ausgerichtet ist. Der Kunst des Landbaus in den vielen Hunderttausenden Dörfern der Welt steht in den Zentren der internationalen Verwaltungsapparate die Ideologie der Landwirtschaft gegenüber. Aus Samenkörnern macht sie Saatgut, aus souveränen Bauern unwissende Saatgutkonsumenten, abhängig von fremden Experten. Modernisierung und die Folgen In der Sprache der FAO wird ein solcher Prozeß mit Modernisierung und Entwicklung beschrieben. Doch wenn es schon nicht die Bauern sind, die sich hier entwickeln, wer ist es dann? Es sind die Saatgutkonzerne, die mit jeder aussterbenden lokalen Sorte mächtiger werden; es sind die Nahrungskonzerne, die von London, Tokio und Kansas aus Preise diktieren und aus Nahrung ein beliebiges Handelsprodukt machen; und es sind schließlich die Experten selber, deren Daseinsberechtigung von der „Unterentwicklung“ der Bauern abhängt. Die einseitig als Modernisierung verstandene Politik der FAO hat inzwischen fast überall versagt. Sie ist mitverantwortlich für die Konzentration des Landbesitzes, das heißt der Verdrängung jener Kleinbauern, die sich die „inputs“ (Düngemittel, Saatgut, Maschinen, Schädlingsbekämpfungsmittel usw.) nicht leisten können oder die dazu notwendigen Kredite nicht mehr zahlen konnten und ihr Land verloren. Sie ist mitverantwortlich für die Zerstörung eines ökologischen Gleichgewichtes vom Gangesdelta bis zur Sahelzone. Hier wie dort hat die betriebswirtschaftliche Orientierung dazu beigetragen, den traditionellen Bezugsrahmen ländlichen Lebens, die Familie, das Dorf oder den Stamm zu zerstören und damit auch ein auf Erhalten und überleben ausgerichtetes Bebauen. Die Experten in den internationalen Entwicklungszentralen sind keine Helfer wie sie selber immer behaupten. Sie sind auch keine „Vermittler“, wie Ralf Dahrendorf schrieb. Sie sind Täter; ihre Opfer sind die Bauern.
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