: Streitigkeiten um Vobo–Amnestie
■ Etliche Gemeinden haben von Zwangsmaßnahmen gegen Boykotteure die Nase voll / Freiburg will statt Zwangsgeldern lediglich Bußgelder verhängen, trotzdem Härtekurs Baden–Württembergs / Höhere Instanzen drängen auf Verfolgung bis zum Letzten
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Bürgermeister Peter Ebner aus der hessischen 10.000– Einwohner–Gemeinde Langenselbold hatte das ganze Theater mit der Volkszählung schon im September reichlich satt. Nachdem 99 Prozent der Langenselbolder ihren Volkszählungsbogen abgegeben hatten, machte der SPD–Bürgermeister kurzerhand die Erhebungsstelle dicht und hob auch die Heranziehungsbescheide gegen die 80 Verweigerer wieder auf. Der Aufwand, so hatte er entschieden, diesen 80 Boykotteuren hinterherzulaufen, sei zu hoch. Anfang letzter Woche hatte auch der Freiburger Bürgermeister Berthold Kiefer die „Faxen dicke“. Gerade als SPD und Grüne einen Antrag auf Beendigung der Volkszählung und Verzicht auf jegliche Zwangsmaßnahmen stellen wollten, verkündete Kiefer überraschend eine Amnestie. Die 6.000 Freiburger, die bisher die Volkszählung boykottiert haben, sollen nicht mit Zwangsgeldern gezwungen werden, zu Kreuze zu kriechen. Wenn sie weiterhin stur bleiben, will Freiburg bestenfalls mit Bußgeldern drohen, aber auch das ist noch offen. So wie Freiburg und Langenselbold geht es zur Zeit vielen Gemeinden. Sie stöhnen unter dem personal– und kostenintensiven Zwangsgeldverfahren. Monatelange Schriftwechsel und die Bearbeitung zahlloser Widersprü che wären dazu erforderlich. Viele Gemeinden würden insgeheim gern den Grünen zustimmen, die jetzt allerorten beantragen, die Volkszählung ohne Zwangsmaßnahmen zu beenden. Eine solche Möglichkeit zu einem Schlußstrich sieht auch das Volkszählungsgesetz ausdrücklich vor: Wenn der Fragebogen nach sechs Wochen noch nicht ausgefüllt zurück ist, so heißt es im Paragraphen11, können die Erhebungsstellen im Wege der „Ersatzvornahme“ sechs Grunddaten des Auskunftssäumigen aus dem Melderegister holen und in den Bogen eintragen. In Nordrhein–Westfalen z.B. haben auch schon einige Gemeinden von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. In anderen Bundesländern vereiteln jedoch die übergeordneten Behörden diesen Weg. In Baden–Württemberg hat das für die Volkszählung federführende Finanzministerium eine Weisung an die Kommunen gegeben, die Zwangsgeldverfahren bis zum bitteren Ende durchzuführen. Daß sich jetzt Freiburg über diese Weisung hinweggesetzt hat, habe - so erklärt man im Statistischen Landesamt - gelinde gesagt „überrascht“. Auch in Rheinland–Pfalz erklärt das zuständige Innenministerium, bevor im Wege der Ersatzvornahme die Grunddaten der Auskunftsverweigerer aus dem Melderegister eingetragen würden, müßten die Zwangsgeldverfahren erst bis zu Ende durchgeführt werden. Eine Gemeinde, die anders verfahren wollte, hat das Innenministerium bereits zurückgepfiffen. Nur in ganz wenigen Ausnahmefällen, wenn etwa jemand über Monate in Urlaub ist, dürften die Erhebungsstellen die Fragebögen mit den Grunddaten selber ausfüllen, behauptet das Innenministerium, so stehe es im Gesetz. Doch diese Behauptung, die z.Zt. auch viele Grüne Ratsfraktionen und Vobo–Inis zu hören bekommen, ist eindeutig falsch. Denn in der Begründung zum Volkszählungsgesetz, in der Bundestagsdrucksache Nr. 10/3843, heißt es klipp und klar, daß die im Volkszählungsgesetz vorgesehene Möglichkeit, die Volkszählungsverfahren von seiten der Erhebungsstellen zu beenden, keineswegs nur für Ausnahmefälle gilt. Sowohl in den Fällen, „in denen jemand nicht angetroffen werde, als auch in den Fällen, in denen jemand die Auskunft verweigert“, könne die Erhebungsstelle den Bogen mit den Grunddaten selber ausfüllen. Daß es allein Sache der Gemeinden sei, auf Zwangsgelder zu verzichten und die Sache über die „Ersatzvornahme“ zu erledigen, gilt deshalb auch in Nordrhein– Westfalen als selbstverständlich. Und in der hessischen Staatskanzlei erklärt man sogar frank und frei: „Wir halten nichts von Zwangsgeldern.“ Dennoch prüft man jetzt auf höchster Ebene beim Darmstädter Regierungspräsidenten das Vorgehen des Langenselbolder Bürgermeisters, der seine Erhebungsstelle so forsch schloß. Nicht daß man etwas gegen den Verzicht auf Zwangsgelder habe, aber der Bürgermeister sei doch etwas zu eigenmächtig vorgegangen, als er ohne Rücksprache kurzen Prozeß mit der Volkszählung gemacht habe, meint man in der hessischen Staatskanzlei. Pikant am Fall Langenselbold ist außerdem noch etwas anderes: Mit seiner Entscheidung zur Schließung der Erhebungsstelle hat Bürgermeister Ebner auch sich selbst amnestiert. Weil man seinen Fragebogen anhand der Berufsangabe „Bürgermeister“ hundertprozentig hätte identifizieren können, hatte auch er sich zum Boykott entschlossen.
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