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Stell–Dich–Ein linksliberaler Prominenz

■ Morgen findet die Gründungsversammlung der Heinrich Böll–Stiftung statt / Boock–Teilnahme scheitert an Hamburgs Justizsenator / Keine parteinahe Stiftung, dafür breiteres politisches Spektrum / Ratlosigkeit bei Grünen über parteinahe Stiftung

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Morgen gründet sich die Heinrich–Böll–Stiftung: Die Versammlung in den Kölner „Flora– Terrassen“ dürfte ein Stell–Dich– Ein der linksliberalen Prominenz werden. Wie ein Who–is–Who alternativer Reputierlichkeit lesen sich die Vorschlagslisten für Mitgliederversammlung und Stiftungsrat und die Riege der Gründungsmitglieder: Robert Jungk, Margarete Mitscherlich und Margarete von Trotta, Carl Amery, Heinrich Albertz, Rainer Langhans, Walter Jens, Martin Walser, Horst–Eberhard Richter, der CDU–Dissident Franz Alt... Da findet sich der Häftling Peter–Jürgen Boock direkt neben Hilde von Braunmühl, Witwe des Ermordeten. Dennoch wird es zum persönlichen Dialog mit dem Aussteiger in Köln nicht kommen: Hamburgs SPD–Justizsenator Curilla weigerte sich, einer Verlegung Boocks nach Nordrhein–Westfalen zuzustimmen, von wo aus der Häftling zur Stiftungsgründung „ausgeführt“ werden sollte. Den Senator beeindruckte weder, daß mit der NRW–Wissenschaftsministerin Anke Brunn eine bekannte Parteikollegin Mit–Stifterin ist, noch daß sich Böll–Promis wie Helmut Gollwitzer für den Boock– Ausgang einsetzten. Nachdem den „Böllern“ auf dem Oldenburger Desaster–Parteitag der Grünen die Anerkennung als parteinahe Stiftung versagt blieb (nur ein Drittel der Delegierten votierte für ihr Modell), können sich Grüne selbst jetzt ohne Filz–Verdacht auch offiziell in die Stiftung einklinken. Mit von der Partie sind unter anderem Lukas Beckmann als Böller der ersten Stunde, Antje Vollmer, Christa Nickels, Brigitte Erler und Otto Schily, aber keine Profilierten vom linken Flügel der Partei. Politisch ist das Böll–Spektrum nach Oldenburg breiter geworden: Ein Teil der damaligen VertreterInnen des Bewegungs–Modells, die Leute um die Bundeskonferenz Unabhängiger Friedensgruppen (BUF) und die Föde ration Gewaltfreier Aktionsgruppen, ist zu den Böllern übergelaufen, nachdem diese ihnen eine stärkere Berücksichtigung des Delegationsprinzips zusicherten: Jeweils ein Drittel der Stiftungsorgane soll jetzt auf Vorschlag bundesweiter Arbeitstreffen besetzt werden, wo Initiativen und Bewegungen ihre Interessen anmelden können. Die ehemaligen Bewegungsstiftungs–Mitstreiter vom Entwicklungsgruppen–Buko reagierten auf die Spaltung in den eigenen Reihen leicht vergrätzt und schicken nur einen skeptischen Beobachter nach Köln. Ob die Finanzwünsche und Ak tionsvorschläge der Initiativen tatsächlich zum Zuge kommen, ist für Dieter Schöffmann vom BUF „ein Experiment“. Wenn die Böll– Stiftung per Satzung ein „Schutzraum, ein Ort der Ermutigung“ sein will, stellt sich Schöffmann darunter vor, daß „so etwas wie die verbotene Nürnberger AKW– Konferenz“ dann im Stiftungsrahmen veranstaltet werden könnte. Zur gesellschaftlichen Perspektivdebatte unter dem Böll–Dach gehört für ihn die Beteiligung des militanten Spektrums; Böll–Sohn Rene betont dagegen die Gewaltfreiheit als „ganz große Maxime“. Nach der Abfuhr in Oldenburg bleibt den Böllern zwar zunächst der direkte Zugriff auf den großen Kuchen der Stiftungsgelder versperrt, dafür ist das unter dem Böll–Namen versammelte politisch–geistige Spektrum für manche ohne den Grün–Stempel at traktiver geworden. Kaum hatten die Oldenburger Delegierten den mißtrauisch beäugten Promis einen Korb gegeben, wurde aus der SPD–Baracke Interesse signalisiert an diesem Potential, mit dem die Sozialdemokraten gern ihren eigenen Vorhof schmücken würden. Es fehlte dabei nicht an Andeutungen, daß der Stiftung finanziell geholfen werden könne. Die Böller lehnten die SPD–Avancen zwar ab, können aber auf projektgebundene Gelder der NRW– Landesregierung hoffen, wie Anke Brunn durchblicken läßt: „Wir fühlen uns dem Andenken Heinrich Bölls verpflichtet.“ Zumindest die Grünen in der Stifter–Crew setzen ansonsten nicht nur auf spendefreudige Fördermitglieder und Mäzene vom Typ Reemtsma, sondern auch auf den Zugang zum Stiftungstopf im Bundeshaushalt. Die grüne Partei hat sich zwar die Anerkennung einer künftigen Stiftung vorbehalten, trotzdem kann die Fraktion Gelder für die Böller beantragen. Ob die Böll–Stiftung so auf Schleichwegen doch noch eine grün–nahe Stiftung werden kann, ist keine rechtliche, sondern eine politische Frage. Regina Michalik vom grünen Bundesvorstand befürchtet, daß die Böll–Stiftung im Strömungsstreit „als Mittel benutzt wird, um die grüne Politik unter Ausschluß der Linken ins bürgerliche Spektrum zu verschieben“. Inwieweit sich die mehrheitlich realpolitische Fraktion trotz des ablehnenden Parteibeschlusses für die Böll–Stiftung verwenden kann, hängt auch davon ab, ob in absehbarer Zeit überhaupt eine andere grün–nahe Stiftung den Segen der Partei erhalten wird. Vorerst ist da wenig in Sicht. Das Modell auf Basis der bestehenden Länderstiftungen, das in Oldenburg zwar die relative Mehrheit, aber nicht das nötige Zwei–Drittel–Votum erhielt, soll durch die anderen Modelle nachgerüstet werden, so lautet nach wie vor die Beschlußlage. Die Feministinnen sind sich nach der Oldenburger Abfuhr für eine Frauenstiftung untereinander nicht einig, wieviel Interesse sie noch an den Grünen haben. Vorerst wird die Gründung eines eigenen Vereins „Frauenanstiftung e.V.“ am 28. November im Kölner Stollwerk gefeiert. Frauen– und LändervertreterInnen erwägen als Ausweg aus dem Dilemma die Möglichkeit von zwei getrennten Stiftungen unter einem grünen Dach. Insgesamt hat bei den Grünen das Interesse an einer Stiftung nachgelassen. Eine Bundesdelegiertenversammlung zum Thema wurde vorerst auf Ende März verschoben. Vor dieser Kulisse grüner Ratlosigkeit stehen die Böller gut da.

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