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Barrikaden abgeräumt Dohnanyi aufgeräumt

■ Das Wunder vom Hafen: Hamburgs Bürgermeister verpfändet sein Amt für eine Vertragslösung / Bewohner fordern: Vertragsunterzeichnung heute

Von Kintzinger, Bornhöft & Cie.

St.Pauli (taz) - „Wir wünschen dem Genossen Dohnanyi ein gutes Baden und eine gute Nacht“, mit diesen knappen Worten kommentierte Radio Hafenstraße am Dienstag um 19.15 die Wende in Hamburg. Dohnanyi hatte den BewohnerInnen nach einem Alleingang im Senat am Nachmittag seinen Rücktritt für den Fall versprochen, daß ein Vertragsabschluß trotz abgebauter Barrikaden und Befestigungsanlagen von der sozialliberalen Regierung des Stadtstaates abgelehnt würde. Damit verbunden war ein Ultimatum, das der Bürgermeister in drei Schritte untergliederte: bis Mitternacht sollte ein Architekt benannt werden, der den Abbau von Befestigungsanlagen in den Häuseren begutachten sollte. Die Barrikaden sollten bis gestern 14 Uhr verschwunden, die Befestigung in und auf den Häusern bis heute 14 Uhr abmontiert sein. „Ist all dies erfüllt, besteht eine neue Lage. Das wäre dann das Wunder“, erklärte Dohnanyi und drohte gleichzeitig: „Ich stehe vor und hinter der Hamburger Polizei in ihrer schwierigen Aufgabe. Ich werde so bei ihr stehen, wenn die notwendige Räumung begonnen wird.“ Nach unüblich kurzer Beratungszeit ließen sich Hafenstraße und ihre UnterstützerInnen auf die von vielen als Erpressung empfundenen Bedingungen ein: Seit gestern mittag liegen die Pflastersteine und Betonplatten wieder in ihrer alten Position, die Straßen wurden gefegt. Sowohl die Kulturschickeria - selbst das Thalia–Ensemble samt Intendant war dabei - als auch führende Lokalpolitiker des linken SPD– Flügels packten mit an. Nachdem die ersten beiden Bedingungen Dohnanyis mit deutscher Pünktlichkeit erfüllt waren, glaubt jetzt kaum noch jemand an ein Scheitern der Vertragslösung für die jahrelang umkämpften Häuser. Nun hängt alles am zwölfköpfigen SPD/FDP–Senat. Dort sträuben sich insbesondere einige soFortsetzung auf Seite 2 zialdemokratische Regierungsmitglieder, die geplante Räumung abzublasen. Innensenator Volker Lange und Eugen Wagner, Boß der Baubehörde, gehören zu den Verweigeren. Wie sehr Bausenator Wagner auf Kollisionskurs zu Dohnanyi gegangen ist, zeigte sich in der vorletzten Nacht: Er verweigerte die vom Bürgermeister zugesagte „technische Hilfe“ für den Abtransport des Barrikadenmaterials. Wegen der momentanen Mehrheitsverhältnisse im Senat scheint dem Votum von Kultursenator Ingo von Münch (FDP) entscheidende Bedeutung zuzukommen. Gegenüber der taz signalisierte von Münch Unterstützung für Dohnanyi, falls die Hafenstraße den Forderungen des Ersten Bürgermeisters vollständig nachkomme. Sollte auch die letzte Bedingung - „entfestigte und auch für Amtspersonen zugängliche Häuser“ - erfüllt sein, „wird der Senat den am 6. Oktober übersandten Pachtvertrag unterschreiben“, versprach Dohnanyi mit großem Indianer–Ehrenwort. Die Hafen–StraßenbewohnerInnen verlangen, daß ihnen der Vertrag - nach getaner Arbeit - noch heute unterzeichnet ausgehändigt wird. Vorher werden die „Menschenbarrikaden“, bestehend aus Kultur– und Polit–Prominenz sowie weniger bekannten Sympathisanten den Hafenrand nicht verlassen - trotz Ermüdung und beginnender Erkältung. Freunde der Hafenstraße befürchten zudem Provokationen von rechts. So versuchte gestern nachmittag ein junger Mann, sich unter dem Vorwand, von der Polizei gesucht zu werden, Zutritt zu einem der Häuser zu verschaffen. Die skeptischen Bewohner förderten aus der Jackentasche des Mannes einen Mitgliedsausweis der Jungen Union zutage.

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