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Schon Keynes plädierte für Schuldenstreichungen

■ Ein jüngst erschienenes Buch zeigt die Parallelen zwischen der Verschuldung des Deutschen Reiches mit späterer Krise sowie dem heutigen IWF–Schuldenmanagement BUCHREZESSION

Fünf Jahre alt ist die Schuldenkrise der Dritten Welt, einer Lösung ist sie in dieser Zeit nicht nähergekommen. Die Mechanismen zur Krisenbewältigung wurden zwar verfeinert, grundlegend geändert aber hat sich nichts. Die Banken und internationalen Organisationen schulden um, verlängern die Fristen zur Zahlung von Zins und Tilgung, geben neue Kredite zur Zahlung eben dieser Schuldendienste. Bedingung: Das Schuldnerland verpflichtet sich, unter Aufsicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein Sparprogramm ins Werk zu setzen, Subventionen zu streichen und dadurch Haushaltsdefizite zu verringern, die Zinsen zu erhöhen und die Währung abzuwerten. Genau die gleiche Sparpolitik, das ist die zentrale These des neuen Buches von Wolfgang Kessler, betrieb auch das nach dem Ersten Weltkrieg verschuldete Deutsche Reich - mit der letztendlichen Konsequenz einer Wirtschaftskrise, sechs Millionen Arbeitsloser in Deutschland und Bedingungen, die Hitlers Herrschaft ohne Zweifel begünstigten. Kessler geht es allerdings nicht darum, eine weitere Darlegung der Situation zu liefern, die den Nazis den Weg ebnete. Ihn interessieren die Parallelen zwischen der Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches und der vom IWF aufgezwngenen Sparpolitik der Entwicklungsländer. Das Geschehen in den zwanziger und dreißiger Jahren dient Kessler als warnendes Beispiel, aus dem, so sein Plädoyer, Lehren für die Situation der Entwicklungsländer gezogen werden sollten. In beiden Fällen war und ist es das Ziel der Schuldnerländer, mehr zu ex– als zu importieren. Mit dem Außenhandelsüberschuß können die Entwicklungsländer ihre DollarSchulden bedienen, und so konnte auch das Deutsche Reich die Reparationen zahlen, die der Versailler Vertrag ihm auferlegte. Was aber bedeutet es für die Wirtschaftspolitik eines Landes, wenn es um jeden Preis einen Exportüberschuß erzielen muß? Im Land selbst muß einerseits der Verbrauch verringert, das heißt auch weniger importiert werden, andererseits müssen eigene Produkte auf den Exportmärkten billig genug sein, um die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen. Folglich überschwemmen die Schuldner ihre Gläubiger mit einer Flut billiger Waren, um an Devisen zu kommen. Das stürzt wiederum die Gläubigerländer in Schwierigkeiten, weil etliche Branchen gegen die billigen Importe nicht konkurrieren können. Als Konsequenz folgt in aller Regel die Verschärfung protektionistischer Handelsbeschränkungen. Kessler verzichtet in seinem Buch leider auf anschauliche Beispiele, obwohl es zahlreiche gibt. Etwa Bangladesh, das sich bemühte, eine Textilindustrie aufzubauen. 1978 gab es weniger als ein Dutzend Textilfirmen. 1985 bereits waren es, mit amerikanischer Hilfe aufgebaut, 450 Firmen, die 140.000 Menschen beschäftigten und vor allem für den Export produzierten. Obwohl Bangladesh 1984 nur 0,32 Prozent des Textilmarktes in den USA bestritt und obwohl das Welttextilabkommen ausdrücklich freie Importe aus kleinen Produzentenländern vorsieht, erzwangen die Vereinigten Staaten eine Vereinbarung, die die Exporte von Bangladesh in die USA beschränkt. Wo aber liegt der Nutzen solcher Einfuhrbeschränkungen? Die US–amerikanische Textil industrie schrumpft dennoch weiter, weil sie mit viel höheren Kosten produziert als ihre Konkurrenten in den Entwicklungsländern. Die Beschränkungen der Industrieländer retten die überalterten Branchen nicht, verhindern aber, daß die Schuldner das Geld für Zins und Tilgung verdienen können. Die fatale Folge des Protektionismus: Das Nachsehen haben beide. Erkannt wurde dieses Dilemma schon in den frühen dreißiger Jahren. John Maynard Keynes analysierte die Situation und plädierte angesichts der Unauflösbarkeit dieses Dilemmas für eine Streichung der deutschen Reparation. Er fragte: „Denn was kostet die Streichung? Worauf verzichtet man wirklich? Auf nichts anderes als auf die Krise, in Schuldner– und Gläubiger–Ländern.“ Keynes erntete damals einen Sturm der Entrüstung bei den Bankiers. Schuldenerlaß? Undenkbar! Kessler greift Keynes Ansatz auf. Er plädiert in seinem Buch für einen (Teil–) Erlaß der Schulden der Entwicklungsländer, weil, ebenso wie damals, ein Bestehen auf Zahlung auch den Gläubiger– Ländern nicht diene. Den Schuldner–Ländern empfiehlt Kessler eine Neuorientierung der Wirtschaft: weg von der Exportorientierung hin zu den tatsächlichen Bedürfnissen! Dafür hält er eine zeitweilige Abschottung der Dritte–Welt– Länder vom Weltmarkt für notwendig, um in Ruhe eigene unabhängige Wirtschaftsstrukturen aufbauen zu können. Das wiederum sollten die Industrieländer, sonst sehr auf Freihandel bedacht, tolerieren. Kessler sieht in einer solchen Haltung eine Art aufgeklärten Selbstinteresses. Denn nur Länder mit einer eigenen leistungsfähigen Wirtschaft sind auf lange Sicht für die Industrieländer interessante Geschäftspartner. Wie weit wir allerdings von einer solchen noch entfernt sind, zeigt die Entrüstung, die dem Sprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, entgegenschlug, als er im September einen solchen Schuldenerlaß ins Gespräch brachte. Vielleicht hilft Kesslers Buch, die fatale Parallele zwischen der Situation des Deutschen Reiches und der Lage der verschuldeten Entwicklungsländer bekanntzumachen. Denn diese Parallele ist überzeugend herausgearbeitet. Etwas kurz und allgemein gehalten dagegen ist das Plädoyer für neue Wirtschaftsstrukturen in den Entwicklungsländern und, damit verbunden, für eine zeitweise Abkoppelung vom Weltmarkt. Die Anregungen zu seinem Buch bekam der Autor von dem Naturwissenschaftler Fred Schmid, der in den dreißiger Jahren die oben geschilderten Zusammenhänge in 95 Thesen dargelegt hatte. Sie sind im Anhang abgedruckt. Während aber Kesslers Darstellung so gehalten ist, daß auch ein interessierter Laie ohne weiteres folgen kann, dürfte es selbst dem wirtschaftlich versierten Leser schwerfallen, Schmids Thesen auf Anhieb zu verstehen. Die fremde Diktion, mit nationalem Pathos beladen, dazu die strenge, naturwissenschaftlich orientierte Beweisführung machen die 95 Thesen zu einem harten Brocken Lektüre - was den Leser dieses Buches aber nicht abschrecken sollte. Jörg Buteweg Wolfgang Kessler, Die Schuldenkrise der Dritten Welt. Dazu ein Anhang mit Fred Schmids „95 Thesen über Geld und Gold“. Hartung–Gorre Verlag, Konstanz 1987

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