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Steuergerechtigkeit nach Gutsherrenart

■ Die Steuerreform für 1990 bleibt ein Fragment zugunsten der Spitzenverdiener

Noch wird um Details des vermeintlich großen Wurfs aus dem Hause Stoltenberg heftig gestritten, doch im Grundsatz wird sich am vorliegenden Entwurf kaum noch etwas ändern. Die Steuersenkungen kommen vor allem denen zugute, die viel zu versteuern haben - arbeits– und haushaltspolitisch dagegen wird die Reform kaum etwas bringen. Sollte zur Finanzierung tatsächlich noch eine Anhebung der indirekten Steuern kommen, wird das Gros der Bevölkerung noch draufzahlen.

Angekündigt war sie als Jahrhundertwerk, präsentiert wurde sie vom Finanzminister als „Großer Wurf“ - die Steuerreform 1990 sollte nach Stoltenbergs eigener Meßlatte eine grundlegende Veränderung der Lohn– und Einkommensbesteuerung bringen, die die unziemlichen Griffe des Staates in die Tasche aller Einkommensbezieher rückgängig macht. Außerdem soll der sogenannte Mittelstandsbauch - die überproportionale Besteuerung im Bereich von 40– bis 60.000 DM Jahreseinkommen - abgeschafft werden und durch die Streichung legaler Schlupflöcher mehr Steuerklarheit geschaffen werden. Tatsächlich bestätigt das Reformvorhaben den Grundsatz eines jeden Steuersystems: Es ist nicht mehr und nicht weniger als das Spiegelbild faktischer Machtverhältnisse. Die geplante Veränderung der Tarifstruktur bringt dem berühmten Durchschnittsverdiener (in der Regel männlich, verheiratet, zwei Kinder) eine Steuerersparnis von 1.116 DM, seinem betuchten Kollegen mit einem Jahreseinkommen von 300.000 DM bleiben 17.862 DM mehr im Geldbeutel, der Großverdiener mit einem Einkommen von einer Million kann gar 38.864 DM einstecken. Dahinter steckt die Ideologie, daß Leistung sich im Einkommen zeigt und damit wer viel verdient auch viel leistet. Darüber hinaus wird hohen Einkommen ein intensiver Effekt zugerechnet, es wird unterstellt, daß die freiwerdenden Mittel in die Wirtschaft zurückfließen und dort für mehr Beschäftigung sorgen. Sogar der CDU–OB von Stuttgart, Rommel, kann das nicht glauben und hat die Reform unter diesem Aspekt kritisiert: Es ist halt auch - oder gerade - für einen CDUler schwer einzusehen, daß Menschen ab einem bestimmten Einkommnen automatisch zu Philanthropen werden sollen. Ein Effekt einer nicht aufkommensneutralen (also kostenneutralen) Steuerreform ist weiter, daß Geld in den öffentlichen Kassen fehlen wird, denn letztlich müssen Steuersenkungen und Steuergeschenke über diese Clearingstelle finanziert werden. So werden die Verluste der Kommunen insgesamt circa 19 Mrd. DM betragen und das in einer Situation, in der durch die Zunahme bei den SozialhilfeempfängerInnen die Soziallasten um 12 steigen. Der Städtetag hat schon angekündigt, wo aufgrund dieser Einnahmeverluste gespart werden soll: bei der kommunalen Umwelt– und Sozialpolitik. Die Steuerausfälle insgesamt werden sich auf schätzungsweise 44 Milliarden DM belaufen, damit wird die öffentliche Verschuldung auch bei Ausnutzung aller Einsparmöglichkeiten nach 1990 drastisch steigen. Fragt mensch sich, wo das Geld letztlich herkommt, das sich die öffentlichen Hände pumpen müssen, so heißt die Antwort: natürlich von den Besser– und Spitzenverdienern. Die sind es aber gerade, die durch diese Reform generöse Steuernachlässe kassieren, bis hin zu den Zinsen für das, was sie weniger zahlen müssen. Die Verlierer sind die, die gar kein steuerpflichtiges Einkommen haben bzw. die, die nur gering entlastet wurden. Sie haben außerdem noch darunter zu leiden, daß die Kommunen kein Geld für soziale Aufgaben haben. Die Reform der Tarifstruktur verstärkt also die verteilungspolitische Schieflage in unserer Gesellschaft und verschärft - über die Einnahmeausfälle, die vor allem zu Lasten der kommunalen Haushalte gehen - das Nord–Süd– Gefälle in der BRD. Es bleibt die Frage, ob nicht die Finanzierungsvorschläge des Herrn Stoltenberg, die ja alle Seiten gleichermaßen belasten sollen, einen gewissen Ausgleich bringen. An zwei breit diskutierten Beispielen wird deutlich, daß dem nicht so ist: bei der Besteuerung von Kapitalerträgen und der Regelung für Jahreswagen. Die Einführung der Quellenbesteuerung auf Kapitalerträge, eine alte sozialdemokratische und grüne Forderung, von Konserva tiven und Liberalen immer als „Neidsteuer“ beschimpft, wird nun ausgerechnet von einem konservativen Finanzminister eingeführt. Entsprechend ist aber natürlich auch die Ausgestaltung: Da die „Quellensteuer“ für alle, pauschal von den Banken abführbar, zehn Prozent beträgt, werden die Großverdiener nicht zu sehr gebeutelt, während kleine AnlegerInnen aufgrund des niedrigen Freibetrags verstärkt zur Kasse gebeten werden. Die Besteurung der Jahreswagen ist kein politischer Skandal, stellt sie doch die Beschäftigten in der Automobilindustrie (insbesondere bei Daimler–Benz), was die Höhe ihrer steuerfreien Rabatte bei ihrem Arbeitgeber betrifft, gleich mit allen anderen. Das Skandalöse ist die Tatsache, daß diese einfach in die Manipulationsmasse für Umverteilung eingeht: Eine Gruppe vorwiegend mittlerer Einkommensbezieher muß die immensen Steuervorteile der Spitzenverdiener mitfinanzieren. Warum sollen Menschen unter solchen Umständen motiviert sein, auf Privilegien zu verzichten? Der politische Skandal der Reform liegt nach wie vor in der verabschiedeten Tarifstruktur, die dazu beitragen wird, die sozialen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft zu zementieren und in der Tatsache, daß in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit Steuergeschenke an das obere Drittel der Gesellschaft gemacht werden. Einer Regierung, die sich ihrer Verantwortung für die gesamte Bevölkerung der BRD bewußt wäre, hätte eine aufkommensneutrale Steuerreform zugunsten der unteren und mittleren Einkommen durchgeführt und die 44 Mrd. zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit eingesetzt. Aber solche Prioritäten werden in Bonn eben nicht gesetzt, und das konnte auch keiner erwarten. Barbara Wais Die Autorin ist Finanzfachfrau der Grünen im Landtag von Baden– Württemberg

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