piwik no script img

Koalitionszwist um Gewalt gegen Frauen

■ Familienministerin Süssmuth (CDU) und Justizminister Engelhard (FDP) haben unterschiedliche Vorstellungen von der Bestrafung von Vergewaltigern

Aus Bonn Ursel Sieber

Familienministerin Rita Süssmuth (CDU) und Justizminister Hans Engelhard (FDP) wollen die Mindeststrafe für Vergewaltigung in und außerhalb der Ehe von jetzt zwei Jahren auf ein Jahr herabsetzen, wenn auch die eheliche Vergewaltigung unter Strafe gesetzt bleibt. Trotz dieser groben Übereinstimmung ist innerhalb der Bundesregierung der Konflikt um das neue Gesetz zur Vergewaltigung in und außerhalb der Ehe vorprogrammiert. Die Verhandlungen zwischen Süssmuth und Engelhard, die sich auf eine gemeinsame Kabinetts–Vorlage einigen müssen, sind zwar noch nicht abgeschlossen. Die Gesetz–Entwürfe, die im Süssmuth–Ministerium sowie im Hause Engelhard erstellt wurden, zeigen aber schon jetzt, daß die Vorstellungen weit auseinanderliegen (zum Engelhard–Entwurf siehe taz vom 6.11.). Fraglich ist auch, ob die CDU–Fraktion die zum Teil sehr weitgehenden Vorstellungen ihrer Ministerin mitträgt. Wie es heißt, sind die Süssmuth–Vorschläge auch in der eigenen Fraktion sehr verhalten aufgenommen worden. Bundeskanzler Kohl hatte im Sommer beschlossen, daß Rita Süssmuth bei der Strafbarkeit der ehelichen Vergewaltigung eine gemeinsame Federführung mit dem Justizministerium erhält. Die unterschiedlichen Vorstellungen brechen innerhalb der Regierung deshalb auf, weil mehr geschehen soll, als die eheliche Vergewaltigung endlich auch unter Strafe zu stellen. Süssmuth und Engelhard wollen das Strafrecht bei Vergewaltigung (Paragraph 177 StGB) und sexueller Nötigung (Paragraph 178 StGB) insgesamt reformieren. Beide wollen dabei auch die ungerechtfertigte Trennung zwischen vaginaler, oraler und analer Penetration beseitigen, die in der heutigen Rechtslage gemacht wird: Nur die vaginale Penetration gilt heute als Vergewaltigung, der erzwungene Oral– und Analverkehr dagegen als sexuelle Nötigung. Der „Preis“ für die Abschaffung dieses Mißstandes ist allerdings in beiden Entwürfen, daß die Mindeststrafe für Vergewaltigung von heute zwei Jahren auf ein Jahr gesenkt wird. So wird heute sexuelle Nötigung bestraft. Aber dann fangen die Unterschiede an: Rita Süssmuth drängt darauf, daß die Konstruktion der „minder schweren Fälle“ von Vergewaltigung ganz aus dem Strafgesetz herausgestrichen wird. Tatsächlich ist dieser Passus sehr problematisch, weil so die Mindeststrafe in Strafprozessen immer wieder unterlaufen wird: Fortsetzung auf Seite 2 Die Rechtssprechung nimmt frühere Liebesbeziehungen oder sogar Kneipenbekanntschaften zum Anlaß, die Tat als minder schwer zu bewerten. Darum gilt der Passus der „minderschweren Fälle“ auch im Süssmuth–Ministerium als „Hintertür“: Rita Süssmuth will offenbar nicht zulassen, daß so Beziehungsdelikte - und damit auch die eheliche Vergewaltigung - „automatisch“ als minder schwer eingestuft werden können. Allerdings heißt es im Familienministerium, die Ministerin werde sich damit wohl kaum durchsetzen können. Dennoch müsse sich Engelhard bewegen. Im Engelhard–Entwurf ist die Konstruktion der „minder schweren Fälle“ nämlich geblieben, wo bei man das Strafmaß sogar auf drei Monate gesenkt hat. (So werden heute „minder schwere Fälle von sexueller Nötigung bestraft“.) Die mögliche Kompromißlinie wurde im Familienministerium so skizziert: Wenn der Passus des „minder schweren Falls“ bestehen bleibe, müsse man ihn mit dem Zusatz versehen, daß Beziehungsdelikte nicht automatisch als „minder schwer“ eingestuft werden dürfen. Den Begriff der Vergewaltigung möchte Rita Süssmuth ebenfalls weiter fassen. Dabei hat sie sich den Vorstellungen der Frauenbewegung, des Juristinnenbundes und der Grünen weit angen Leib und Leben“, die Frauen zwingt, Gegenwehr nachzuweisen und möglichst sichtbare körperliche Verletzungen davonzutragen. Süssmuth überholt damit freilich den SPD–Entwurf, der ebenfall am herkömmlichen Gewaltbegriff festhält. Allerdings sieht man im Süssmuth–Ministerium auch in dieser Frage wenig Aussicht, daß sich Süßmuth damit durchsetzt. Schließlich scheiden sich die Geister an der Frage, wie eheliche Vergewaltigung strafrechtlich verfolgt werden soll. Wie berichtet, will Engelhard diese Tat zwar „grundsätzlich“ von Amts wegen verfolgt wissen (Offizialdelikt). Aber die Ehefrau soll während des gesamten Verfahrens „Widerspruch“ einlegen können. Auch Rita Süssmuth sieht offenbar die Gefahr, daß die Ehefrauen so unter großem Druck ihrer Ehemänner oder Familien stünden. Sie möchte deshalb einen „Versöhnungs– und Therapievorbehalt“ einführen: Demnach können StaatsanwältInnen „mit Zustimmung des Gerichts vorläufig“ von einer Strafe absehen, wenn der Beschuldigte und das Opfer „in einer Ehe oder dauerhaften Lebensgemeinschaft leben und sich versöhnt haben“. Allerdings müsse das Gericht eine „positive Prognose“ abgeben können. Dieser Fall würde eintreten, falls sich der Ehemann z.B. zu einer Eheberatung bereit erklärt. In diesen Fällen würde das Verfahren eingestellt, wenn der Ehemann innerhalb eines Jahres nicht „rückfällig“ wird. Erklärt sich der Täter zu einer Therapie bereit, soll das Verfahren für einen längeren Zeitraum (wahrscheinlich vier Jahre) ausgesetzt werden. Wie es heißt, ist mit einer gemeinsamen Kabinetts–Vorlage erst Anfang nächsten Jahres zu rechnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen