: I N T E R V I E W „Unverbindliche Absichtserklärungen“
■ Zum Schlußdokument der Konferenz äußert sich Peter Willers, Sprecher der Aktionskonferenz Nordsee
taz: Was sagt ihr zu dem schon vorab bekanntgewordenen Schlußbericht dieser Konferenz? Willers: Sein wesentlicher Mangel ist, daß sämtliche Maßnahmen, auch die Verwendung der „bestverfügbaren Technologien“ zum Nordseeschutz, unter dem Vorbehalt der wirtschaftlichen Machbarkeit stehen. Mit dieser Einschränkung wird die Entscheidung darüber, was getan wird, aus der Politik in die Wirtschaft verlagert. Nicht mehr die Politik, sondern die Wirtschaft entscheidet; was alle Absichtserklärungen dieser Schlußdeklaration relativiert. Ferner klingen die beabsichtigten Maßnahmen, die Halbierung der Einlassung von giftigen und langlebigen Stoffen sowie von Nährstoffen binnen zehn Jahren zwar gut - und werden von Umweltminister Töpfer als wesentliche Erfolge verkauft; doch weiß kein Mensch, was eigentlich im Basisjahr 1985 in die Nordsee eingeleitet worden ist. Außerdem steht auch kein Wort darüber drin, mit welchen Maßnahmen diese Reduzierung erreicht werden soll. Deswegen haben wir große Zweifel, ob dies eine ernstgemeinte Absichtserklärung ist. In dem Bericht ist davon die Rede, daß die Erhebung neuer Daten über die Verschmutzung der Nordsee notwendig ist. Kommt das Prinzip der Vorsorge überhaupt vor? Die Verankerung des Vorsorgeprinzips war ja eines der Hauptanliegen von Herrn Töpfer, und er hat auch erreicht, daß es in den allgemeinen Teil des Schlußdokumentes auf genommen wurde. Es bleibt allerdings eine unverbindliche Absichtserklärung, die in keiner Weise in den daran anschließend angesprochenen Maßnahmen zum Ausdruck kommt. Vorsorge heißt für uns die Vermeidung von Schäden, nicht deren Reparatur. Und solange dieses Vorsorgeprinzip nicht juristisch und praktisch handhabbar gemacht wird, wird es wirkungslos bleiben. Für uns wirft das die Frage auf, wie wir die extrem umweltschädliche Industrie, besonders die chemische Industrie, umbauen können, ihre Produktionsverfahren wie ihre Produktpalette. Wenn man den Abschlußbericht liest, könnte man meinen, der Zustand der Nordsee sei doch gar nicht so schlimm. Wie seht ihr das gegenwärtige Belastungsniveau? Wir wissen, mit welchen gewaltigen Schadstoff–Frachten dieses an Biomasse so reiche, aber auch so gefährdete Flachmeer jeden Tag belastet wird. Es kann aber zur Zeit kein Wissenschaftler sagen, wann der „point of no return“ erreicht ist, wo die Nordsee in einen Zustand gerät, der nicht reparabel ist. Trotzdem gibt es inzwischen zahlreiche ernstzunehmende - auch konservative - Wissenschaftler, die sagen: Wir wissen genug, um die Politik auffordern zu können, sofort einschneidende Maßnahmen zu ergreifen. Könnten wir denn nicht auch mit einer toten Nordsee leben? Man kann auch in der Wüste leben. Die Frage ist, in welcher Umwelt wir in Zukunft leben wollen. Es gibt ein bestimmtes ökonomisches Interesse daran, Zustände herzustellen, in denen man seine natürlichen Bedürfnisse nicht mehr auf natürliche Weise befriedigen kann, sondern nur noch durch Ersatzprodukte. Daran läßt sich mehr verdienen. Wenn nicht alles täuscht, wird diese Nordseekonferenz mit einem faulen Kompromiß und ohne greifbare Ergebnisse enden. Hat es überhaupt noch Sinn, an einer Konferenz teilzunehmen, auf der sehr wichtige und für die Nordsee–Belastung mitverantwortliche Länder wie die DDR oder die Tschechoslowakei nicht vertreten sind und wo sich die anwesenden Länder gegenseitig nur den Schwarzen Peter zuschieben? Das ist eine schwierige Frage. Wir kämpfen darum, den politischen Druck zu entfalten, der die Politiker zwingt, anders zu handeln. Niemand kann sagen, ob wir noch zur rechten Zeit etwas erreichen werden. Wird es jetzt in den Umweltschutzgruppen– und verbänden so etwas wie eine Strategiediskussion geben, ob sich der politische Lobbyismus noch lohnt, ob nicht der Schwerpunkt auf direkte Aktionen a la Greenpeace gelegt werden sollte? Darüber gibt es schon Diskussionen. Wir wären auch froh darüber, wenn sich möglichst viele Leute auf diese Weise auch in direkten Aktionen engagieren könnten. Das Problem ist nur, daß wir dazu erst noch in sehr viel mehr Köpfen das Bewußtsein schaffen müssen.
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