piwik no script img

DDR–Autoren gegen Zensur

■ Aufbruchstimmung auf dem DDR–Schriftstellerkongreß in Ost–Berlin / Kritik an den DDR–Medien und Kulturbürokratie / Christa Wolf fordert Diskussion über die verdrängten Folgen der Biermann–Ausbürgerung

Ost–Berlin (ap/dpa/taz) - Forderungen nach mehr Informationsfreiheit, ungeschönter Wahrheit über die Geschichte und größerer Offenheit innerhalb der Gesellschaft haben Teilnehmer des 10. Schriftstellerkongresses in der DDR zur gleichen Zeit erhoben, als nicht weit vom Tagungsort die „Umweltbibliothek“ durchsucht und Oppositionelle festgenommen wurden. So forderte der Autor Günter de Bruyn die Aufhebung der Zensur. Aufklärung durch Literatur werde zwar viel gepriesen, in der Praxis der „Druckgenehmigung“ schränke man die aufklärerische Wirkung der Literatur wieder ein. Literaturkritik hinter verschlossenen Türen vergifte die Atmosphäre, die Leser würden bevor mundet und die Schreiber gedemütigt. Manche würden veranlaßt, die DDR zu verlassen. Angesichts der grenzüberschreitenden elektronischen Medien liege der Angst vor dem gedruckten Wort etwas Irrationales zu Grunde. Christoph Hein wurde in einem Bericht aus einer Arbeitsgruppe mit den Worten zitiert, daß die „Zensur nutzlos, überlebt und paradox“ sei. Ironisch auf die DDR– Medien anspielend hatte der Autor erklärt, man müsse ihnen danken, weil der „Leser durch Neuigkeiten kaum abgelenkt“ würde. „Auf dem Kongreß wurde offen wie nie zuvor diskutiert und gestritten“, bewerteten Journalisten die Stimmung, „es kommt etwas in Fluß“, meinten Diskussionsteilnehmer. Mehr Integration für kritische junge Künstler forderte Christa Wolf in einem Brief an den Kongreß, der mit Erlaubnis des Verbandspräsidenten Hermann Kant schließlich von Günter de Bruyn verlesen wurde. Sie forderte den Verband dazu auf, sich endlich mit den Folgen des Protestes gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann auseinanderzusetzen. Sie selbst habe ihren damaligen Protest nie zurückgezogen und nicht relativiert. Für andere habe es ungerechtfertigte Ausschlüsse gegeben. Viele Autoren hätten bis heute kein Anzeichen von Verständnis für ihre Haltung oder Dialogbereitschaft von seiten des Verbandes aus erfahren. Die 82jährige Autorin Hedda Zinner nahm „Skinheads, die Prügeleien anzettelten und faschistische Lieder grölten“ aufs Korn und forderte die Anwesenden dazu auf, in ihrem „antifaschistischem Kampf“ nicht nachzulassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen