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I N T E R V I E W „Aus dieser Bewegung ist eine politische Kraft zu holen“

■ David Assouline, der 27jährige Student, war Mitglied der Nationalen Koordination und Sprecher der französischen Studentenbewegung im November/Dezember 1986

David genoß - als einer der ganz wenigen - Führungsautorität in der Bewegung. Er war zuvor lange Zeit in einer trotzkistischen Gruppierung aktiv. Heute ist er neben seiner Arbeit Wahlkampfleiter beim frischgebackenen Präsidentschaftskandidaten Pierre Juquin, der sich einst im Politbüro der KPF engagierte. taz: Ein Jahr ist vergangen. Statt mit Kleingruppen an der Uni zu arbeiten, machst du heute große Politik. Was ist zwischendurch passiert? David Assouline: Die Bewegung hatte ein politisches Potential. Die Werte, die wir einklagten, Solidarität, Gleichheit und direkte Demokratie, waren sehr, sehr politisch und verlangten nach einer neuen politischen Ausdrucksform. Ich engagierte mich nach dem Dezember 86 für zweierlei. Erst dachte ich, die Gelegenheit wäre da, eine einheitliche politische Jugendorganisation zu bilden. Das hätte der Rahmen für eine Politisierung der Bewegung sein können. Ich habe mit den Jungsozialisten, der Kommunistischen Jugend, Teilen der Beur–Bewegung und SOS–Racisme gesprochen. Doch alle sagten: Das ist verrückt. Also habe ich mich mehr bei den Studentenorganisationen engagiert. Ich war begeistert und hoffte, daß der Schwung der Bewegung die alten Strukturen aufbrechen und eine neue Einheitsorganisation schaffen könnte. Unsere nationale Vollversammlung im März konnte das erreichen, denn es gab einen starken Druck von der Basis in diese Richtung. Trotzdem hat dann die Logik der Apparate gesiegt. Wie auch immer man versuchte, die Einheit der Bewegung zu wahren, es setzten sich die alten politischen Strukturen wieder durch. Zeigte dies nicht gerade das Unvermögen der Studenten, sich politisch zu organisieren? Während der Bewegung haben alle alten politischen Organisationen versagt. Damit verstärkte sich nur noch die Skepsis in der Bewegung gegenüber der traditionellen Politik. Und deshalb ist man auch nach den Streiks nicht in die Organisationen hineingegangen, um sie zu verändern. Zumal dies nicht notwendigerweise mit der Spontaneität der Bewegung einherging. Es fehlte ein neuer politischer Impuls. Die Präsidentschaftskampagne von Juquin kann diesen Impuls vielleicht geben. Zwar ist es ein Handicap, daß erst ein Jahr vergehen mußte, aber trotz aller Zweifel und Fragen habe ich immer gedacht: Es ist möglich, aus dieser Bewegung eine politische Kraft zu holen. Während die Parteien in diesem Jahr für die Jugend mehr warben als je zuvor, ignorierten oder kritisierten die französischen Intellektuellen die Bewegung. Man warf euch im besten Fall angepaßtes, mode– und mediengerechtes Verhalten vor. Vor der Bewegung nährten sich die Intellektuellen von der Idee, daß die neue Jugend individualistisch wäre und dem Neoliberalismus die Stange halte. Diese Idee wurde von der Bewegung dementiert. Statt nun ihre Fehleinschätzung einzugestehen, sagen die Intellektuellen heute das gleiche auf andere Art. Diese Intellektuellen kommen fast alle von 68, haben, als sie jung waren, gekämpft und waren dann die ersten, die den politischen Kampf für altmodisch erklärten. Unsere Bewegung zeigt sie nun in einem Spiegel, der ihre Dekadenz erkennen läßt. Also rechtfertigen sie sich, sprechen von Mode und „moralischer Generation“. Wir werden sie erneut dementieren, mit den Worten und Mitteln unserer Zeit.

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