: Nach dem Referendum: Walesa setzt nun auf Dialog
■ Regierungsvorlage erreichte nicht die erforderliche Mehrheit / Lech Walesa will Reformkurs unterstützen, wenn Solidarnosc wieder zugelassen wird
Berlin (afp/dpa/taz) - Unter gewissen Umständen würde er sich an den Verhandlungstisch mit General Jaruzelski setzen, um „gemeinsam für das Wohl Polens zu arbeiten“, so lautete die erste Reaktion des Vorsitzenden der immer noch verbotenen Gewerkschaft „Solidarnosc“ kurz nachdem klar war, daß das Referendum der Regierung gescheitert war. Wenn der „gewerkschaftliche Pluralismus, den die Polen brauchen wie die Luft zum Atmen, wiederhergestellt wird“, so Lech Walesa, sei eine Zusammenarbeit mit der Regierung denkbar. „Das Referendum hat nichts gelöst. Es hat lediglich aufgezeigt, daß keine der gesellschaftlichen Kräfte in Polen alleine in der Lage ist, die tiefe Krise zu lösen, in der das Land seit langem steckt, weil die polnische Gesellschaft gespalten ist“, sagte Walesa. In dieser Lage sei es unverzichtbar, daß sich Solidarnosc und die Regierung „gemeinsam“ an die Bevölkerung wendeten, um sie aufzufordern, „Polen zu retten“, denn die Zeit dränge. Regierungssprecher Urban sieht im Parlament immer noch das Forum der Debatte über das Ergebnis, das für die Regierung nach eigenem Eingeständnis eine Schlappe bedeutet. Fortsetzung auf Seite 6 Kommentar auf Seite 4 Konnte sie mit der Wahlbeteiligung von 67,2 sein, mußte das Ergebnis der Abstimmung selbst enttäuschen. Am Montag abend gab der Regierungssprecher bekannt, 64 Wähler hätten auf die erste Frage des Referendums, die sich auf die Wirtschaftsreform bezieht, mit ja gestimmt, 27,7 besser war das Ergebnis mit 69 % Ja–Stimmen bei der zweiten Frage, die der von der Regierung angestrebten Form der Demokratisierung der Gesellschaft galt. Hier gab es 24,6 Stimmen. Zur Niederlage für die Regierung wurde die Abstimmung, weil die Ja–Stimmen nicht nur auf die teilnehmenden Wähler, sondern auf die gesamten Wahlberechtigten bezogen werden und hier 51 zur Annahme des Referendums nötig waren. So gesehen erreichte die Vorlage nur eine Zustimmung von 44,2 bzw. 46,3 Als Ursache für das schlechte Ergebnis nannte Urban „die schwierige Frage der Preiserhöhungen“, die fehlenden Erfahrungen mit Volksabstimmungen in Polen und die Furcht vor einer Senkung des Lebensstandards. Er wolle weiterhin den Willen der Regierung bekäftigen, mit Reformen und dem demokratischen Prozeß der Wählerkonsultation über wichtige Belange fortzufahren, sagte der Regierungssprecher in der Stellungnahme. Das Ergebnis vom Sonntag wird auch im Mittelpunkt einer Sitzung des Zentralkomitees stehen, das in der ersten Dezemberhälfte sein sechstes Plenum fortsetzt. Dabei ist es möglich, daß die Reformgegner wieder stärker in den Vordergrund treten. Das ZK hatte bisher keine Beschlüsse über die Regierungsvorhaben gefaßt, sondern wollte sich erst nach dem Volksentscheid endgültig zur Konzeption des Politbüros äußern. Es bleibt abzuwarten, ob die Vorschläge für die Selbstverwaltung der Gemeinden und Betriebe sowie die Liberalisierung des Vereinsrechts noch durchzusetzen sind. Erich Rathfelder
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