Europessimismus vor dem EG–Gipfel

■ Scheitert der EG–Haushalt auch diesmal an den Agrarsubventionen? / Von Thomas Scheuer

Die Pleitegeier kreisen über Kopenhagen, wo heute der halbjährliche Gipfel der zwölf Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft beginnt. Es wäre eine politische Sensation, wenn sie sich auf eine grundlegende Reform des EG–Finanzsystems einigen könnten. Hauptursache für das Milliardendefizit in der Brüsseler Kasse ist die Landwirtschaftspolitik. Ihre Überschußproduktion muß mit zwei Dritteln des gesamten EG–Haushalts finanziert werden. Doch über Agrarpreissenkungen ist ein tragfähiger Kompromiß nicht in Sicht.

In immer kürzeren Intervallen drückten sich die Außen–, Finanz– und Landwirtschaftsminister der EG in den letzten Wochen in Brüssel die Klinken in die Hand. Doch die Tischvorlagen für die Kopenhagener Chefrunde verloren dadurch nicht an Ballast; die Minister blieben bis zuletzt erfolglos. Und die Chancen, daß das obere Dutzend nun galant das Ei des Columbus aus dem Zylinder zaubern wird, sind denkbar gering. Schon auf ihrem letzten Treffen, im vergangenen Juni in Brüssel, brachten die Regierungschefs nur magere Kosmetik zuwege, die noch dazu durch einen Generalvorbehalt von Margret Thatcher Makulatur blieb. Sie kündigte an, Großbritannien werde keiner Neuordnung des EG–Finanzsystems und damit verbundenen Erhöhung der Mittel zustimmen, bevor nicht die Agrarausgaben drastisch gesenkt würden. Die verschlingen näm lich rund zwei Drittel des gesamten EG–Haushaltes. Verbraten wird das Geld für die Produktion von immensen Lebensmittelüberschüssen, die sich weder auf dem europäischen noch auf dem Weltmarkt absetzen lassen. Bei den Bauern kommt nur ein Bruchteil dieser Geldmengen an. Das meiste sahnen Agrarindustrielle, Landmaschinenhersteller, Kühlhausbetreiber, Transportgewerbler und Händler ab. EG–Fachleute meinen, daß nur radikale Reformen des Agrar– und Finanzsystems aus der derzeitigen Krise führen können. Für die EG käme ein Null–Ergebnis in Kopenhagen einer Bankrotterklärung gleich - das erste Mal seit Bestehen würde sie am 1.1. 88 ein Jahr ohne gültigen Haushalt beginnen. Die Kommission müßte dann den Haushalt in monatlichen Raten (auf der Basis des letzten Jahres) kommissarisch weiterführen. Umstritten ist nicht die Notwendigkeit, sondern das Wie einer Senkung des Agraretats. Die Kommission schlägt vor, den Produzenten sollten bei Überschreitung bestimmter Quoten automatisch die Preise gekürzt werden. Die Bundesregierung dagegen will die Erzeugerpreise unbedingt halten und anstelle des Straf–Mechanismus mit - ebenfalls sehr umstrittenen - Flächenstillegungen die Produktion senk Umstritten ist auch der Plan der Kommission, einen Teil der EG– Beiträge künftig nach dem Bruttosozialprodukt der Mitgliedsländer zu berechnen, wodurch die Süd–Länder profitieren würden. Dagegen wehrt sich vehement die wohlhabende Nordachse, und neuerdings auch Italien, dessen Bruttosozialprodukt mittlerweile über dem britischen liegt. So solidarisch ist eben EG–Logik. Dennoch darf man Helmut Kohl Aufrichtigkeit unterstellen, wenn er gebetsmühlenartig beschwört, er lasse sich in seiner europäischen Gesinnung von niemandem übertreffen. Er reibt seinen Amtskollegen nicht, wie sein Vorgänger Helmut Schmidt, das Klischee vom deutschen Zahlmeister unter die Nase. Zu gut weiß er, daß zuallererst die exportorientierten bundesrepublikanischen Konzerne vom Wachsen der EG und vor allem der Märkte Südeuropas profitieren werden. Die Frage ist nur, wie die Rechnung - Zugeständnisse in der Landwirtschaft, Vorteile für die Industrie - zu Hause bei schwindender Wählergunst in ländlichen Gebieten aufgeht. Welches Bauernopfer Kohl in Kopenhagen zu riskieren bereit ist, davon hängt nicht zuletzt der Ausgang dieses und zukünftiger Treffen ab. Dem Ausgang des Kopenhagener Gipfels wird im Brüsseler Hauptquartier nicht nur symbolische Bedeutung beigemessen. Die Zeit nach dem Gipfel im französischen Fontainebleau wurde weithin als europapolitischer Aufschwung gewertet. Markierungspunkte sind die Einheitliche Europäische Akte, die erste - wenn auch gemessen am ursprünglichen Vorhaben dürftige - Reform der Römischen Verträge seit 1957, die schnellere und einfachere Beschlußprozeduren einführte; der Beitritt Portugals und Spaniens; aufwendige Programme zu einer technologischen Aufholjagd; vor allem aber der Anlauf zum einheitlichen europäischen Binnenmarkt. Vor allem der ehemalige Wirtschaftsminister Mitterrands und heutige Präsident der EG– Kommission, Delors, schiebt das Projekt Binnenmarkt mit allen Kräften an. Er sieht in der Schaffung von Großraumverhältnissen wie in Nordamerika die einzige Chance, der japanischen und US– Konkurrenz zu trotzen. Auf dem Mailänder Gipfel 1984 wurde als Stichdatum für die Vollendung des Binnenmarktes, also des grenzenlosen Verkehrs von Personen, Kapital, Waren und Dienstleistungen in der EG, vollmundig der Jahresanfang 1992 proklamiert. Gerät der Kopenhagener Gipfel allerdings zur großen Pleite, so befürchtet man in Brüssel, dann könnte die mühsam entfachte Dynamik wieder erlöschen und die Stimmung wieder in den vielzitierten Europessimismus umschlagen. Schrittmacher Delors präsentierte kürzlich eine fünf Millionen Mark teure Studie. Kernpunkt: Eine Verzögerung des Projekts Binnenmarkt um ein paar Jahre wäre wirtschaftlich gar nicht so schlimm. Europessimismus?